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Alltagsverkrustungen lösen sich auf

Beim Freiburger Theaterfestival: Das Figurentheater Tübingen

erschienen am 30.09.1996 von Johanna Hund bei Badische Zeitung

Marfa ist keine von denen, die man auf Anhieb ins Herz schließt. Als das trübe Licht der Funzel im Innern des Cellokastens, in dem sie kauert, erstmals auf ihr faustgroßes, fahles Gesichtchen fällt, das um Mund und Augen greisenhaft eingezogen ist, da kann man auch an eine Hexe denken. Doch ist diese verschrumpfte Alte ein armes, braves, abgearbeitetes Weiblein - und die einzige Puppe, die wir sehen, während uns die Geschichte von „Rothschilds Geige" erzählt wird.

Ines Müller-Braunschweig (mitagierend auf der Bühne präsent) spricht den Text der wenig bekannten Tschechow-Erzählung frei - und so gut, in so feiner Mischung aus Distanz und Wärme, daß vielleicht damit allein schon kein übler Abend zustande käme. Dazu aber führt Frank Soehnle mit großem, einfühlsamem Geschick die Marionette der gebeugten Alten, und er zielt weniger auf Illusion als auf Ausdruck, wenn er sie auf ihren spindeldürren Beinen mit den großen, alten Frauenschuhen über die Bühne schlurfen läßt.
Diese Marfa ist Jakows Frau, war es 52 Jahre lang, bis ihr Lebensfaden zu reißen beginnt (und ihre Fäden schließlich vom Spielkreuz gelöst werden). Und Jakow, der sie in 52 Jahren nicht einmal liebkost oder hauptsächlich unter merkantilen Gesichtspunkten wahrnahm, Jakow wird zum traurig-guten Schluß doch noch weich und verschenkt seine Geige.

Die unpathetisch-sensible, leis ironische und höchst ideenreiche Umsetzung dieser Erzählung war wohl der dichteste und auch schönste Beitrag innerhalb der dreiteiligen Werkschau des Figurentheater Tübingen, die beim Freiburger Theaterfestival zu sehen war. Dem Trio aus Schauspielerin, Figurenspieler und der Regisseurin Christiane Zanger (die am Cello auf der Bühne auch musikalische Akzente setzte) gelang da ein Theaterabend, der (wie bei Jakow) auch unter Zuschauers Alltagsverkrustungen etwas zu berühren vermochte.
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