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Als hätten Figurentheater und Tanz nur aufeinander gewartet

Figurentheater und Ballett tun sich in „Cranko Re-Flexions“ zu einem Pas de deux zusammen

erschienen am 23.11.2007 von Angela Reinhardt bei Esslinger Zeitung

Stuttgart – Vielleicht sollte das Stuttgarter Ballett öfter sein angestammtes Domizil im Staatstheater verlassen, denn auch bei „Cranko ReFlexions“, der dritten „aushäusigen“ Kooperation zum großen CrankoFestival, entstand wieder ein faszinierendes Stück. Schauplatz war dieses Mal nach Theaterhaus und Kunstmuseum das Zentrum für Figurentheater unterm Tagblattturm (Fitz), wo der Dialog mit einem anderen Genre auch dieses Mal durch die verblüffende Stringenz der Wechselwirkung überraschte – als hätten Figurentheater und Tanz nur aufeinander gewartet.

Ein Balletttänzer sieht sich mit seinem künstlichen Ich konfrontiert – nein, er kreiert erst sein Alter Ego, in einer zwischen Furcht und Liebe schwankenden Auseinandersetzung mit den Einzelteilen und Scharnieren seines Körpers, die der Untertitel „Pas de deux für eine Person“ wirklich perfekt beschreibt. Von Michelangelos göttlichem Finger über Kleists „Aufsatz über das Marionettentheater“ bis zur Erschaffung eines Androiden streift das einstündige Stück alle nur möglichen Assoziationen zu echtem und künstlichem Leben. Wie in der Puppenwerkstatt des Coppelius baumeln einzelne Glieder an der Decke, als Tomas Danhel aus dem Boden gleitet und mit ihm jede Menge mattglänzende Stahlkugeln, schwere und winzige. Der wild gelockte Tscheche ist eigentlich ein Tänzer für die lieben, komischen Rollen, hier wirkt er in seiner rehäugigen Zartheit wie eine Mischung zwischen Zauberlehrling und Homunkulus.

Antje Töpfer und Florian Feisel vom Fitz haben für die lebensgroße Gliederpuppe eine verblüffende Technik entwickelt: die einzelnen Glieder sind über Magneten verbunden, genau jene matt glänzenden Metallkugeln, die über die Bühne kullern und an Danhel wie magisch festkleben. Zu moderner elektronischer Musik von Morgan Daguenet setzt der Tänzer nach und nach sein Ebenbild aus Gliedern und Kugeln zusammen und erfindet dabei immer neue MenschVersionen: Zwei Füße ergeben Schwingen, alle Glieder aneinander ein unendlich langes Bein, es könnten riesige Fingerknöchelchen sein oder ein Dinosaurierskelett.

Ständig steht der Solist seinem eigenen Körper gegenüber – „Tänzer haben entsetzliche Angst vor ihrem Körper“, wird John Cranko auf dem Programmzettel zitiert, und Danhel empfindet neben Entdeckerstolz auch immer wieder diese Furcht. Da wächst ihm ein dritter Arm aus dem Bauch, ein Torso bewegt sich parallel zu seinem, sein weißes Gesicht ruht auf zwei Beinen und glotzt ihn an. Ihre faszinierende Figuren und Bühnentechnik kombinieren die beiden Regisseure mit einer wilden Bildfantasie, deren Überraschungen manchmal an Zauberkunststücke erinnern wie etwa das „atmende“, spinnengleiche Gitter, das sich zu einem Dach, einem Zaun wölbt und dann wieder winzig klein wird. Wie fast all Erschaffer von künstlichen Menschen wird aber auch dieser am Ende nicht glücklich mit seinem zweiten Ich.

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