Figurentheater Tübingen mit „Rothschilds Geige
erschienen am 14.10.1995 von bei Südkurier
TÜBINGEN (pme). Das Figurentheater Tübingen ist das derzeit professionellste und interessanteste Ensemble aus der freien Theaterszene Tübingens. Ihr hauseigener Dämon treibt sie gewöhnlich zur Lakonie, zum verschmitzt-bösen Humor, zur Nachtseite des Lebens. Außerdem hat er eine Vorliebe für Formalisierungen und eine strenge Choreographie, die im Ergebnis den Schein des Werkstatthaften der perfekten Illusion vorzieht. So war das auch am Freitagabend bei der Vorstellung von Rothschilds Geige (Cechov), der neuen Produktion des Ensembles.
Trotzdem ist jede Inszenierung des Figurentheaters eine neue spielerische Versuchsanordnung mit den eigenen formalen Möglichkeiten und die sind außerordentlich: Objekttheater, Puppenspiel, Schauspiel und Musik waren die Elemente der bisherigen Inszenierungen. Das Schauspiel ging dabei weitgehend wortlos über die Bühne, die Sprache fristete eine Randexistenz. Bei „Rothschilds Geige" ist das anders. Diesmal wird vor allem das Zusammenspiel aus Erzähltheater und Figurentheater geprobt. Ines Müller-Braunschweig, die schon in der letzten Inszenierung Puppenspieler Frank Soehnle kongenial ergänzte, tritt nun als (szenische) Erzählerin noch mehr in den Vordergrund. Bühnenpräsenz und durch sie die Präsenz der Erzählung Cechovs ist groß.
Das Bühnenbild ist eine Art abstrakter Hinterhof mit viel Krimskrams drauf. Was hier herumsteht oder an einer Wäscheleine aufgereiht ist, sind Reliquien, Souvenirs aus dem Cechov-Fundus, der in einem Auktionsvorspiel fröhlich feilgeboten wird (und so endet das Ganze auch wieder). Gleichzeitig handelt es sich um das Spielzeug des nachfolgenden Stücks: Ein kleiner roter Schuh, ein schwarzes Tuch oder etwa ein Cellokasten, aus dem der Puppenspieler die Marionette Marfa hervorholen wird.
Wenn er die Fäuste ballt, ist er für einen Moment Marfas Mann, der Sargtischler. Wenn Marfa sich verwundert die Fäden anschaut, an denen sie hängt, um sie dann schließlich selbst in die Hand zu nehmen, dann ist sie nicht mehr nur Puppe. So ist das Ganze auch ein Spiel mit den vorgezeichneten Rollen. Erzählt uns Cechov von „Marfa, die im Profil wie ein Vogel aussah“, sehen wir den riesigen Schatten von Ines Müller-Braunschweig an der Seitenwand. Und wenn sich in der Erzählung ein Herz verkrampft, rafft sich beim Figurentheater sogar der Vorhang für einen kurzen Moment zusammen.