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Das Monster Trauer in all seinen Facetten

Stuttgart-Premiere im Theater Fitz: „Untiefe – A depthless Place“ von Jan Jedenak und Jonas Klinkenberg ist ein unheimliches, virtuoses Bühnensolo über seelischen Schmerz.

erschienen am 21.04.2023 von Kathrin Horster bei StZN

Ein Lichtkreis in einem sonst leeren, schwarzen Raum, in der Mitte des Kreises ein Loch. Ein Wesen kauert davor. Kopf, Hände und Füße leuchten unwirklich im Restlicht, der Rumpf bleibt meistens im Dunkel. Das Wesen verkörpert die menschliche Trauer in ihren vielfältigen, oft schrecklichen Formen; der Performer Jan Jedenak, ausgebildet an der Hochschule in Stuttgart, lässt sie auf der Bühne wie Geister erscheinen in „Untiefe – A depthless Place“ (Regie: Jonas Klinkenberg). Premiere hatte das knapp einstündige Werk in Leipzig, wo Jedenak lebt. Am Donnerstag hat er es im Stuttgarter Fitz aufgeführt.

„Untiefe“ kommt ohne Sprache aus, setzt dafür auf eine gespenstische Geräuschkulisse aus Seufzern und tiefen Atemzügen, nachhallenden Tropfen von Wasser wie im Inneren einer Höhle, teilweise unterfüttert vom unheimlichen Klimpern eines Kinderklaviers und harten Beats. Jedenak erzählt mit Requisiten, Gesten und Bewegungen, wie sich die Trauer in Stadien wandelt, mal still und in sich gekehrt am Boden der menschlichen Psyche hockt, mal tobend und zeternd seinen Wirt von innen malträtiert.

Die Lichtstrahlen sind nicht zu fassen

Die stille Trauer trägt einen glatzköpfigen Pappmachékopf mit unbewegter Miene und blickt ins Loch im Boden wie in einen dunklen Teich. Einmal betrachtet sie im Sitzen mit langsam wiegendem Kopf und gekrallten Zehen eine quecksilbrige Masse in den Händen oder greift mit Daumen und Zeigefinger nach den dünnen Lichtstrahlen, als wären sie Fäden. Weil sie die Strahlen nicht zu fassen bekommt, sackt sie in sich zusammen. Die aufgewühlte Trauer verbirgt ihr Gesicht hinter einem hüftlangen, sich vor Zorn schüttelnden und verheddernden Haarvorhang, vor dem in Anklage die Hände wild gestikulieren, oft mit gerecktem Zeigefinger, als wäre er eine Waffe.

„Untiefe“ ist eine beeindruckend beängstigende, künstlerisch virtuose Performance, vor allem im Hinblick auf die einfachen Mittel, derer sich Jan Jedenak und Jonas Klinkenberg bedienen. Es braucht Mut, sich dieser Trauerbewältigung zu stellen.

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