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Die Bedrohung der Technologie für das Ich

erschienen am 24.09.2016 von Brigitte Jähnigen bei Stuttgarter Zeitung / Stuttgarter Nachrichten

Wände kippen, geometrische Körper explodieren, Töne und Stimmen überlagern sich, Tänzer fallen: Dem virtuellen Totalcrash, der den Zuschauer akustisch und optisch bis an die Schmerzgrenze führt, folgt die Reanimation. In seltsam altmodisch wirkendem Erzählstil wird aus dem Off vom 8. Tag berichtet, an dem das Bett erfunden wurde, darin „zu ruhen und zu lieben“ sich der Mensch überflüssig mache. Ist „das Überflüssige“ auch hier das buddhistische „Nichts“, die „Leere“, das Ziel allen menschlichen Mühens? In seiner extravaganten Inszenierung des letzten Teils der großen Kränkungen der Menschheit nach Sigmund Freud – der Kränkung durch die Technologie – arbeitet das Künstlerkollektiv Meinhardt Krauss Feigl mit einer speziellen Kunst und 3D-Technik. Akteure – bei der Uraufführung im Fitz sind es die Tänzerinnen Alexandra Mahnke, Sawako Nunotani und Alexandra Brenk – lösen durch Körperbewegungen Licht- und Toneffekte aus.

Die Rahmenhandlung im Stück „Die zweite Realität“ (Dramaturgie Robert Atzlinger, Regie Iris Meinhardt und Michael Krauss) ist ein Gegenentwurf der biblischen Schöpfungsgeschichte. Es ist dank der Technik ein höchst raffiniertes Spiel von verblüffender Wirkung. Textlich wird die Inszenierung durch die Erschaffung von Sand, Licht, Wasser, Gras, Sommerwärme, Papier, Schnee und Bett geführt. Und immer „sahen sie, dass es gut war“. Wie in einem Computerspiel tritt die Compagnie in einem jeweils neuen Level an. Gefragt wird nach jeder Erfindung, was von ihr und jeder neuen Einflussnahme durch den Menschen bleibt. Analog und virtuell erzeugte Szenen wechseln, doch entgleist auch diesmal der Mensch in seiner Rolle als Zauberlehrling? Zeichen auf der Bühnenrückwand wechseln, die Tänzerinnen strecken und stauchen ihre Leiber. Chance und Risiko, Faszination und Kontrollverlust – die Frage, ob der Mensch darf, was er kann, bleibt aktuell.

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