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Die feinen Risse im Selbstverständlichen

Imaginale Eine Begegnung mit dem Puppenspieler Christoph Bochdansky

erschienen am 28.01.2106 von Brigitte Jähnigen bei Stuttgarter Nachrichten

Eine Stimme kam aus seinem Radio. Das sollte nichts Ungewöhnliches sein. Doch das Radio war schon sehr alt, und sein Besitzer hatte es gar nicht eingeschaltet. „Anmerkungen zur Umgebung“ hat Christoph Bochdansky sein Buch getitelt. Seine Themen: diverse Verwinkelungen im Stromlinienförmigen des Lebens. „Ich habe mir vor Augen geführt, was so sein kann“, sagt der Wiener Autor. Und so wurden seine Geschichten ebenso skurril, wie man seine Inszenierungen kennt. Denn Bochdansky ist nicht nur Schriftsteller, er ist auch Puppenspieler. In beiden Sparten hält er sich mit der Fassade des Realen nicht lange auf. Seine Kunstfiguren bevölkern eine fragile Welt. Und die kippt in einem fort. Wie die Welt, in der eine von Bochdanskys Figuren, ein Dämon, wohnt.

Die kleine Puppe mit schrägem Gesicht sitzt in seinem Jackett, schwingt sich zu übermenschlicher Größe auf, in der der Puppenspieler verschwindet. Es sei, höhnt der Dämon – jetzt ein bräunliches Schlabberwesen mit Glatze, rollenden Augen, Knochenhänden und monströs auf- und zuklappendem Unterkiefer, aus der die Stimme Bochdanskys spricht –, „am schönsten, in einem Menschen zu wohnen“. Diese Geschichte ist eine Mutmaßung. Glaubt doch nicht jedermann, sein selbstbestimmtes Leben zu führen? Bochdanskys Dämon hat nicht nur in Wien und vielen internationalen Gastspielorten Furore gemacht, er hat auch vor einigen Monaten im Figurentheater Stuttgart (Fitz) die Zuschauer beeindruckt. Was aber geschieht, bevor in einer solchen Vorstellung das Publikum Bekanntschaft mit seinem eigenen Dämon macht? Christoph Bochdansky erzählt: „Am Anfang waren sogenannte Fleckenbilder auf Papier, die jedes Kind kennt. Amorphe Formen sind grandiose Figuren, sie geben Stoff für Assoziationen.“ Und dann zeichnete er spontan viele Striche, ließ sie aus der Horizontalen in die Vertikale fallen, malte sie grün an – ein Wandgebilde entstand. Bochdansky nutzt sie als Bühne, auf der sein Dämon agiert. „Ich baue nichts Konkretes, ich baue Räume, die Fragezeichen produzieren“, sagt er. In diesen Räumen entwickelt er die alte Tradition des Erzählens weiter. Die Texte schreibt er selbst und arbeitet mit der Musikgruppe Die Strottern zusammen. „In unseren Inszenierungen geht es immer um die Spiegelung der Welt in einer Weise, die ich absurd, auch subversiv nenne“, sagt der Künstler. Der Zuschauer erlebt: Die Grenzen dehnen sich von der Wirklichkeit über das Fantastische bis zum Ver-rückten aus.

Christoph Bochdansky wuchs in Vorarlberg auf, studierte Bühnenbild am Mozarteum in Salzburg, ging zum Figurentheater-Kolleg nach Bochum. „Das Puppenspiel ist ein großes Glück für mich, ich muss nicht trennen zwischen Privatheit und Beruf, alles, was ich tue, geht in meinen Beruf“, sagt der 54-Jährige. Von Wien aus führen ihn seine Wege weltweit ins Theater und zu internationalen Festivals. Als Gastdozent ist er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, Studienzweig Figurentheater, tätig und als solcher auch an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin, Abteilung Puppenspielkunst. Figurenspiel, Puppenspiel – worin liegt für ihn der Unterschied? „Ich selbst nenne mich Puppenspieler, die Puppe bekommt durch meine Führung einen Charakter und wird zur Figur“, sagt Bochdansky. Im Gegensatz zum Schauspiel sei das Figurentheater eine höchst eigensinnige Kunst, die Verbindung von Macher und Werk sehr eng. „Diese Kompaktheit ist es, die die Dichte erzeugt“, sagt der Künstler.

Was hält er von den vielen neuen Formen, dem reinen Material, der Verbindung verschiedener Sparten, etwa von Videoinstallationen und kunstvollen Musik- und Geräuschkompositionen, die das Figurenspiel in den letzten Jahrzehnten veränderten? „Die Explosion in alle Richtungen finde ich im Prinzip gut, weil das Genre sehr verstaubt war“, sagt Bochdansky. Puppenspiel dürfe alles sein, selbst dann, wenn keine Puppe vorkomme. Gebe es keine Lehrmeinung, bilde sich Vielfalt. „Ich selbst habe aber kein Interesse, alles zu bedienen, Lichtshows und die digitale Welt sind ein eigenes Handwerk“, sagt er. Eine Begegnung mit seiner sehr eigenen, skurril-humorvollen Welt findet am 31. Januar bei der Imaginale, dem Internationalen Figurentheaterfestival Baden-Württemberg, statt. Bochdansky tastet in der Produktion „Anmerkungen zur Umgebung“ (Puppenspiel und Lesung mit Posaune) nach den feinen Rissen im Selbstverständlichen.

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