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Die Hand streckt sich ins Leere

Im Fitz: FigurentheaterTübingen & Compagnie Bagages de Sable Paris

erschienen am 04.12.2011 von Brigitte Jähnigen bei Stuttgarter Nachrichten

Ein Mensch wie ein Fels: das Gesicht dick mit Staub bedeckt, der Mantel über den Kopf gezogen. Ein feines Marionettenwesen - der Körper ist aus zartesten Stofffetzen - legt das kantige Kinn auf den haarlosen Kopf des Menschen. Alphörner blasen scharfe Windgeräusche ins düstere Tal von Stampa. Hier wachsen die Träume des Kindes Alberto Giacometti bis nach Sibirien. An seinen Heimatort im Bergell wird er immer wieder zurückkehren (wir hören Alphornklänge) und in sein Atelier ins 1000 Meter höher gelegene lichtere Maloja.

Szenenwechsel: „Ich erinnere mich" schreibt ein zweiter Mensch mit Kreide auf eine Tafel, das Geschriebene wird auf eine Leinwand projiziert. Der jetzt 45-jährige Giacometti lebt in Paris, die Stimmung ist krisenhaft düster („ein Blinder streckt seine Hand ins Leere"), die Musiker spielen Jazz. In der Kurzprosa „Le Reve, le Sphinx et la Mort de T." umkreist er die Themen Sex, Krankheit, Tod.
Die Bühne ist Wohnort und Atelier. Jetzt spielen die Musiker Jean-Jaques Pedretti und Robert Morgenthal er eine jazzige Musette. Eine fleischfarbene Lilie ist der Kopf einer verführenden weiblichen Figur, Einaugenwesen quälen den Geist („Ich habe das Gefühl, ich bin eine unklare Persönlichkeit"), eine zappelnde Spinne ängstigt den schaffensmüden Mann, der bekennt: „Eine große Figur war für mich unwahr, eine kleine trotzdem unmöglich."

Es bleibt das Geheimnis so talentierter Figurenbauer und -Spieler wie Frank Soehnle, Menschen, Marionetten und Stabfiguren in einen lebenden Kosmos zusammenzuführen. Und diese intelligente Inszenierung (Regie führt Enno Podehl, Bühne und Kostüme erdachte Sabine Ebner) will alles und fasziniert mit allem: Realität und Fiktion, ästhetisches Licht-und-Schatten-Spiel der langgliedrigen Figuren, Schrift und Zeichnungen auf der Projektionsfläche, gesprochene Giacometti-Zitate (Sprecher ist Patrick Michaelis). Giacomettis fertiges Schlüsselwerk wird schließlich auf einer drehbaren Unterlage präsentiert, die Figuren hängen in Ruheposition, die Musiker spielen erneut eine Musette. Die Krise ist überwunden.

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