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Die Wunderkammertüte

Das ungewöhnliche Figurentheater um Frank Soehnle überraschte von Bild zu Bild

erschienen am 15.04.2013 von Ulla Steuernagel bei Schwäbisches Tagblatt

Tübingen. Eine Frau in einem mittelalterlich anmutendem Gewand betritt den Raum, öffnet ihre Haare und ein Schatzkästlein, aus dem zwei langgliedrige Goldhände entweichen. Die Hände schwirren durch die Luft, legen sich auf die Schulter der Frau, sie streicheln sie, werden lästig, leicht bedrohlich und schließlich nach oben gezogen.

Erst am Ende des Abends kommen sie wieder hinunter ins Spiel. Dann zeigen sie noch einmal, was in ihnen steckt. Sie tun sich mit merkwürdigen Goldquasten-Wesen zu Vogelgebilden zusammen und verhelfen dem Kleinsten von ihnen zu weiten Flügeln. Und auch wenn die Hände während des Spieles nicht zu sehen sind, sind sie zumindest programmatisch vorhanden. Sie haben von der Decke des Saals aus die Oberhand, sie thronen über den Spielern. Wer ist hier also Herr des Geschehens, wessen Hände sind Gesetz? Wer hängt an Schnüren und wer hält sie: Spieler oder Figur? Die Antwort: beide, sie wechseln sich ab.

Man darf sich von diesem Abend schon ein paar Wunder erwarten, schließlich kündigen sie sich sowohl im Titel, als auch im Untertitel „Betrachtungen über das Staunen" an. Wir befinden uns also in einer „Wunderkammer". Die Wunderkammern der Renaissance und des Barocks sind Sammelsurien, Orte, an denen Dinge der Natur und Wissenschaft mit Exotischem, Absurdem, Banalen zusammenkommen. Zum Staunen das alles, doch das Staunen hat schon eine Richtung. Die Wunder dieser Kammern wollen ergründet, vermessen und bewertet werden. In der Wunderkammer ist der Abschied vom Wunderglauben angelegt.

Vielleicht ist das etwas hoch gehängt. Doch in dem Figurenstück kann sich jeder nach Lust und Laune bedienen. Wer will, kann seine Vorstellungskraft ganz von den poetischen Bildern gefangen nehmen lassen. Man kann sich aber auch an den technischen Finessen Fertigkeiten und Metamorphosen der Figuren erfreuen. Das Schönste am Spiel liegt schließlich in der Überraschung. Es ist also eine Wunderkammertüte, aus der immer neue Einfalle schweben. Man sieht, wie eine Figur sich wieder neu zusammensetzt; wie aus einem Vogelwesen eine nackte Frau wird; wie ein anderes Gebilde zwischen Elfe und Knochenmann changiert, wie Figuren und Spieler sich gegenseitig necken; wie das Marionettenspiel auch zum horizontalen Gewerbe oder Fädenziehen werden kann, wenn die Schnüre sich um Schultern und Arme der Spieler wickeln; wie die Spieler selber zu Marionetten oder Teilen eines Bildes werden.

Das Tübinger Figurentheater von Frank Soehnle hat schon mit reduzierteren Mitteln und konzentrierterer Form gearbeitet. Diesmal hat sich Soehnle jedoch mit zwei anderen Figurenbildnern und -spielem zusammengetan: mit Alice Therese Gottschalk vom Stuttgarter FAB-Theater und mit Raphael Mürle vom Figurentheater Pforzheim. Das Zusammenspiel bringt mehr Fülle und mehr Abwechslung, vielleicht aber auch mehr Ablenkung und Zerstreuung. Dicht und zugleich sphärisch zusammengeführt wird es durch die Klangräume des Jazzpianisten Michael Wollny, der Cembalistin Tamar Halperin und des Cellisten Bradley Kemp.

Unterm Strich

Zu sehen und zu staunen gibt es in dieser Wunderkammer viel. Man sollte sich den Bildern und Klangräumen einfach aussetzen. Manchmal wünschte man die Zügel oder Schnüre vielleicht etwas straffer gespannt, aber Spaß macht diese Wunderkammer trotzdem.

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