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Ein Rest seidiges Fell

erschienen am 30.05.2015 von Dorothee Hermann bei Schwäbisches Tagblatt

Tübingen. Der kleine Prinz ist alt geworden. Mit dem weiß gewordenen, nach oben gewehten Haar, den ungewöhnlich langgliedrigen Fingern und dem kleinen gelben Schal mit den goldenen Fransen wirkt er wie ein Mensch, der der Welt schon sehr lange zugesehen hat. Er ist zu schmal und zu groß für ein Kind und seltsam ausgezehrt. Im Saint-Exupéry-Stück des Figurenspielers Christian Glötzner, das am Samstagabend im Tübinger Zimmertheater seine Uraufführung hatte, rückt er anders als im gleichnamigen Buch ein wenig aus dem Zentrum. Doch er ist eines der anrührendsten Requisiten und in seiner eleganten Garderobe deutlich mondäner als das Vorbild (Frank Soehnle baute die Puppen).

„Consuelo, mon amour – Briefe des kleinen Prinzen Antoine de Saint-Exupéry an seine Rose“ ist eine Koproduktion zwischen dem Zimmertheater und dem Stuttgarter Fitz-Theater. Sie verschiebt die Perspektive von dem kleinen Außerirdischen und seinen erhellend-naiven Weltfragen auf die komplizierte Liebesbeziehung des Autors zu seiner Frau. Die Inszenierung folgt der These, dass Figuren und Schauplätze der 1943 erstmals veröffentlichten Geschichte diese Beziehung spiegeln, besonders in ihren Ambivalenzen (Regie: Vanessa Valk).

Consuelo und Antoine treten jedoch nicht als Figuren aus Fleisch und Blut auf, sondern wie schon der kleine Prinz gewissermaßen entrückt, in veränderten Erscheinungsformen, die durch den zeitlichen Abstand geprägt sind.

Der gezielte Klammergriff, mit dem der Tübinger Figurenspieler und Theatermacher Christian Glötzner den kleinen Prinzen von hinten manövriert, kontrastiert mit der fragilen Beweglichkeit der Figur, ihren scheinbar so empfindsamen, langgliedrigen Händen. Die von ihm so bewunderte Rose (die ebenfalls für Consuelo stehen soll) ist zwar als üppig-rote Blume gestaltet, aber mit überlangen dünnen goldenen Ärmchen, als wäre sie zu Berührung oder Umarmung gar nicht fähig. Auch Musik (Johannes Frisch) und Geräusche gestalten die eigentümlich vermenschlichten Objekte weiter.

Es ist der Neffe Consuelos (Glötzner), der Figuren und Dinge aus der Zeit heraufholt. Die Bühne wirkt zunächst abweisend: Man sieht allerlei verhüllte Objekte, wie sorgfältig für eine lange Abwesenheit vorbereitet oder eben seit langem dem Blick entzogen. Es gibt altmodische Koffer unterschiedlicher Größen, eine runde Hutschachtel, leicht vergilbte Briefe mit richtigen Briefmarken und leere Rahmen (die aber Bilder einfangen können, wie sich zeigen wird). Ein Mann im schwarzen Anzug (Glötzner) hält sich zunächst ganz still im Hintergrund, bevor er sich aufspaltet in Neffe, Prinz, unsicheren Autor oder glamouröse Lady. Erst eine Frauenstimme aus dem Off (Consuelo) aktiviert und ermächtigt den Nachfahren, sich der noch verhüllten Vergangenheit zuzuwenden: „Für deine eigene Erinnerung bist du noch zu klein. Vielleicht wird ein Schatten in deinem Gedächtnis verbleiben – und der werde ich sein.“

Als der Neffe mit fast kindlicher Freude ein Flugzeugmodell durch den Bühnenraum kurven lässt, wirft das kleine Objekt Schatten auf der Bühne und an der dunklen Rückwand, die an Nachtaufnahmen von Bombern oder auch an Saint-Exupérys Roman „Nachtflug“ erinnern können.

Die vielleicht rätselhafteste Begegnung des kleinen Prinzen ist die mit dem wilden Tier, dem Fuchs. Im Zimmertheater hat er einen besonders bizarren Auftritt. Die Halbschnauze, die sich neugierig aus einem der Koffer schiebt, gehört offensichtlich zu einem konservierten Balg, der aber hörbar schnüffelt (und auch spricht). Die technisch erzeugten Geräusche klingen gleichzeitig eifrig und kurios. Sein Pelz ist so glatt und luftig, dass man darüberstreichen möchte.

Der Impuls, das seidige Fell zu berühren (was aber nicht möglich ist, weil man ja nicht unvermittelt auf die Bühne eilen und sich dort zu schaffen machen darf), ist viel stärker als das zur Phrase gewordene „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Vielleicht war der Fuchs auch nur Accessoire in Consuelos Garderobe. Was im Stück schließlich von Saint-Exupéry bleibt, sind ein schwerer Ledermantel, Fliegerbrille und Lederkappe, über eine Puppe drapiert wie ein Monument – die traurigen Überreste eines Menschen, den der Krieg verschlungen hat.

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