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„Ein Talent, aber kein Charakter“

Theaterstück über Heinrich Heine: „romanzero.disparates“ im Stuttgarter Fitz

erschienen am 11.10.2007 von bei Esslinger Zeitung

Der schmerzgeplagte Mann erbricht meterlang die ochsenblutroten Eingeweide auf den Bühnenboden. „Ich will nicht sterben. Ich kann nicht sterben“, würgt er hervor. Völlig erschöpft liegt der Sterbenskranke auf seinem Lager und deliriert. Der Mann ist der Dichter Heinrich Heine während der letzten Jahre seines Siechtums in der Pariser „Matzratzengruft“, in der er schließlich 1856 stirbt. Das „Unleben“, das Heine aufgrund der fortschreitenden Krankheit gezwungen war zu führen, prägt den spätromantischen Gedichtband „Romanzero“. Diese letzte Leidens-, Lebens- und Schaffensphase hat das wanke.ensemble Stuttgart unter der Regie des Berliner Regisseurs Horst Lonius zu einem vielschichtigen Aktionskaleidoskop zusammengefügt. Die Koproduktion mit Helmut Landwehr nach Heines letztem großem Poem wurde jetzt unter dem Titel „Romanzero.disparates“ am Fitz uraufgeführt.

Lonius ist jedes Mittel recht, um die inneren Kämpfe und äußeren Leiden des „Ideenwächters der deutschen Republik“ darzustellen. Sein Mentaltheater wirkt durch Schauspiel, Figurenspiel, Farben, Lichttechnik (Doris Schopf) und einen ausgeklügelten Soundtrack (Dietrich Lutz). Vor dem opiumbenebelten Auge des Dichters, der 1797 in Düsseldorf als Harry Heine zu Welt kam, ziehen einstige Weggefährten, Mitstreiter und Kontrahenten vorbei. Originalzitate aus Heines Werken, Theaterdialoge, Menschen mit denen Heine zu tun hatte, die letzen Freunde und Geliebten, mit denen er noch Kontakt pflegt, erzeugen in der frei erfundenen szenischen Darstellung unterschiedliche Realitätsebenen. Die verschiedenen Facetten von Begegnungen ergeben ein munteres Vexierbild, bei dem der Zuschauer in eineinhalb Stunden konzentriert versucht, nicht den Faden zu verlieren. Es empfiehlt sich, vorher das Programmheft zu lesen, um die einzelnen Stationen im Stück einordnen zu können. Da ist die Auseinandersetzung Heines, der von einem fulminanten Uwe-Peter Spinner dargestellt wird, mit Ludwig Börne (Robert Atzlinger). Zwei große deutsche Dichter im Pariser Exil, die sich nicht verstehen. Die Polemik gegen Heine, „das arme, romantische Herzchen“, den Börne mit „ein Talent, aber kein Charakter“ verunglimpft, setzt diesem zu. Heines Eifersucht auf Goethe klingt an, ebenso wie die Eifersucht von Heines Ehefrau Mathilde auf die wechselnden Geliebten. Da bekommt die letzte Muse, genannt Mouche, ebenso ihren Auftrittt wie die unerreichte Molly und die Henkerstochter Sefchen (Yana Novakova und Miriam Paul), mit der der Junge jüdischer Abstammung „Perlentränen“ geweint hat.

Mathildes Vögel reizen Heines Nerven bis zum Anschlag. Das Gezänk der Gattin und der Geliebten klingt wie Hühnergeschnatter. Später ziehen in Schattenspielmanier die Kamelkarawanen aus dem Gedicht „Der weiße Elefant“ über die Leinwand, gleichzeitig sehen die Zuschauer eine kleine Märcheninsel wachsen, wie aus „1001 Nacht“. Heine wird wegen seiner jüdischen Herkunft verunglimpft. „Juden können Worte in der Kunst nur nachplappern“, wettert Richard Wagner, der Heine-Gedichte zu Tragödien veroperte. Am Ende formt sich aus dem Metallgestell der „Matratzengruft“ ein überdimensionaler Judenstern am Boden. Edith Schwanenhals steigt als Stabpuppe aus dem Gedicht „Schlachtfeld bei Hastings“ empor. Heine erhielt zum 200. Geburtstag eine große Feier in Düsseldorf und Paris, die ihn als „Narr des Glücks“ pries. Landwehr legt sich in seiner Aussage nicht fest. „Romanzero.disparates“ zeigt Heine als Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit, der bissige Sozialkritik übte, und als sensiblen, romantischen Liebesgedichteschreiber. Aber das kennt man schon.

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