SeeNixMeer: Gyular Molnar inszeniert am Weiten Theater
erschienen am 26.01.2004 von Katja Oskamp bei Berliner Zeitung - online
Sie schwimmt durch Tränenpfützen, Badewasser und Flussschnellen. Mit Wonne lässt sie sich von den Wellen schaukeln, flaniert neugierig durch die Weltmeere, sucht nasse Abenteuer. Gerät sie in Gefahr, steckt sie das Köpfchen ins Wasser, reckt das Schwänzchen in die Höh.
Eine klitzekleine gelbe Ente aus Plaste ist die heimliche Heldin der Aufführung "SeeNixMeer" am Weiten Theater in der Parkaue in Berlin-Lichtenberg. Sechs barfüßige und flinkhändige Frauen bestreiten den einstündigen Abend, ein freies Diplomprojekt der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch", Abteilung Puppenspiel. Es wird mit sparsamen Mitteln und unter originellem Einsatz von selbstgemachten Klängen, Bildern, Geschichten gespielt.
Zupfen auf Geigen
Hinter einer hüfthohen weißen Wand, die sich über die gesamte Bühnenbreite zieht, klappern, tuscheln, raunen sie, zupfen auf Geigen oder singen wie Sirenen. Auf der weißen Kante fahren Ozeandampfer aus Zeitungspapier, halten Meeresfrüchte aus Muscheln und Fingern ihre Versammlungen ab, saugt der Riesentintenfisch - ein schwarzer Regenschirm - die kleine gelbe Ente ein und spuckt sie kohlrabenschwarz wieder aus.
Vor der Wand treffen sich die Frauen auf einer langen, hölzernen Bank und erzählen einander, warum sie manchmal weinen. Dann weinen sie, aber nicht optisch, sondern akustisch. Sie schnipsen die Finger gegen ihre offenen, hohlen Münder und man hört die Tropfen fallen. Die Tränen sammeln sie in Muschelschalen, gießen sie in größere und wieder größere Gefäße, und man wundert sich nicht länger, warum das Meer nach Salz schmeckt.
Ein anderes Mal beginnt mit den Mundgeräuschen der Regen, steigert sich ins Händeklatschen und prasselt schließlich auf zwölf Oberschenkel und natürlich auf das staunende Publikum hernieder. Die Frauen erzählen geheimnisvolle Geschichten vom Meer, und unversehens verwandeln sich die Mythen, Sagen, Märchen in persönliche Mitteilungen.
Vom Wert der Dinge
Anmutige Szenen bahnen sich an, türmen sich auf und ziehen sich zurück wie Wellen. Sie sind aus nichts gemacht als einer Hand voll Requisiten und den Möglichkeiten spielender Menschen. Die sechs Frauen zaubern einen verblüffenden Reichtum hervor. Der Regisseur Gyular Molnar hat ihre Phantasie erst entfacht und dann gebündelt. Die Imagination entsteht durch meisterhafte Präzision im Detail. Man sieht, wie die Illusion erzeugt wird und erliegt ihr zugleich. Der Regisseur Gyular Molnar tut noch etwas Wunderbares: Er gibt den Menschen und den Dingen ihren Wert zurück. Der Abend fließt wie sein Thema, ein kleines Labsal fürs Publikum, das am Ende herzlich applaudiert, besonders dieser Seele von Plasteente.