erschienen am 24.11.1993 von ho bei Westdeutsche Zeitung
Objekttheater — das ist der dramaturgische Rückgriff auf die Welt unserer Kindheit, in der jeder Gegenstand beseelt ist und seine Geschichte zu erzählen hat. Der Italiener Gyula Molnár, der im Marionettentheater "Drei kleine Selbstmorde" zeigte, kommt mit theatralischen Mitteln aus, die so minimal sind, daß sie zunächst völlig abstrus wirken.
Unwillkürlich wird man aber doch rasch in den Bann der Liebe zwischen Streichholz Jörg und Kaffeebohne Pita gezogen; man seufzt leist beschämt, aber doch tief berührt auf, wenn die arme Alka-Seltzer-Tablette der Bitterkeit des Lebens entflieht und sich ins Wasserglas stürzt Mit grandioser Selbstverständlichkeit läßt Molnar die Dinge für sich selbst sprechen; das Geschehen auf der unprätentiösen Tischbühne bleibt unkommen-tiert, scheint sich aus seinen eigenen Möglichkeiten heraus zu entfalten; die Hand des Künstlers ist lediglich ausführendes Organ.
Molnar hat seine Objektdramaturgie aus der experimentellen Arbeit in freien Theatergruppen heraus entwickelt. Die Reduktion auf die nackte Dinglichkeit kann auch nur deshalb erfolgreich funktionieren, weil Molnar seine Mittel und ihr« Wirkung genau kennt und sich nicht auf die bloße Sensationswirkung des Absurden verläßt. In seinem „Gedicht über die Zeit", dem dritten der „kleinen Selbstmorde", zieht Molnar zudem sprachliche Register und läßt sich selbst als Mitspieler zu. Man verzeiht ihm gern Gemeinplätze, wenn man gerade die höchst dramatisch entfaltete Überzeugungskraft des Satzes „Die Zeit ist eine ernste Sache, mag aber Erdnüsse" zu spüren bekommen hat. Molnar entwickelt aus dem Nichts eine bizarre Poesie des Unerwarteten, die davon lebt, daß alles möglich ist und logisch scheint, wenn man es geschickt als Wirklichkeit darstellt. Durch die glückliche Mischung aus witzigen Performance-Einfälien, mimischem Geschick und Mut zur jeweils kleinsten aller denkbaren Formen wird das „objektive" Theater zum subjektiven Vergnügen.