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Feine Parabel auf Systeme, in denen Menschen leben

Uraufführung von Lärm bezieht politisch Stellung

erschienen am 19.03.2012 von Armin Bauer bei Ludwigsburger Kreiszeitung

Stuttgart - Inmitten des Figurentheaterfestivals „Imaginale" mit seinen zahlreichen internationalen Gastspielen, meist echte Leckerbissen, steht auch bei der diesjährigen Auflage eine Stuttgarter Uraufführung, die auch weiter im Fitz zu sehen sein wird: „Lärm" vom Ensemble Materialtheater Stuttgart und dem Théâtre Octobre, Brüssel.

„Lärm" ist eine Parabel von beachtlicher Brisanz, die sich erst langsam entfaltet, wenn das Spiel seinen Weg geht. Ein zunächst märchenhaftes Spiel um ein ungeliebtes Kind von Zeus und Europa. Das wird abgefunden mit einem kleinen Theater, damit es eine Beschäftigung hat. Annabelle, so der Name, ist auch dort nicht willkommen. Es beginnt eine Nabelschau des Theaters, mal süffisant ironisch, dann erschreckend nahe an den Realitäten.

Daran wieder zeigt Autor und Regisseur Alberto Garcia Sanchez ein ganzes Spektrum persönlicher und gesellschaftlicher Unterdrückungsmechanismen. Kunstvoll arbeiten er und seine Darsteller an mehreren Erzählebenen, die sich immer wieder verweben. Eine neue Farbe kommt ins musikalisch hervorragend untermalte Treiben, als Annabelle einen Bruder erhält, Archibald. Der ist in vielem das Gegenteil seiner Schwester, befreit die von ihr Unterdrückten von deren Joch. Wir befinden uns im Kalten Krieg, dem Krieg der Systeme. Jetzt wird es für die Sparte Figuren- und Materialtheater außergewöhnlich politisch.

Die Systeme sind im Clinch. Und die fiese Annabelle gewinnt. Dadurch, dass sie die Truppe mit materiellen Wohltaten überhäuft. Die nimmt das gerne entgegen und muss feststellen, dass dieses System sie nicht mehr braucht -kaum dass es, wer sieht darin auch nicht den Kapitalismus, gewonnen hat. Aber Archibald ist für tot erklärt worden - wie war das noch mal mit dem Sozialismus? Das beste aller Systeme hat gesiegt - allein, weil es kein anderes mehr gibt.

Eine hochpolitische, aber auch philosophische Parabel, mit vielen Feinheiten ausgearbeitet, dramaturgisch sehr durchdacht auf die Bühne gebracht mit Darstellern, die diesen Anforderungen gewachsen sind. Ein ldeines Meisterwerk dieser Sparte, ein spannendes Stück, mit Tiefgang und klarer Stellungnahme, ohne ideologisch belehrend zu sein.

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