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Freiheit für Langer Lappen

erschienen am 03.09.2018 von miss laine bei reihesiebenmitte.de

Sofie hat nicht mehr viel Zeit. Das kleine Mädchen ist krank. Schwer krank. Das wird nicht ausgesprochen und ist dennoch sofort klar, wenn Samira Lehmann, Stefan Wenzel und Pauline Drünert die schlafende Sofie ganz, ganz sachte im Krankenbett auf die Bühne tragen. Wie so vieles an diesem zauberhaften, ungewöhnlichen, mal komischen und auch mal spröden Figurentheaterabend.

Die wundersame Reise der kleinen Sofie © Thilo Neubacher

Auf die Beine geholfen: Stefan Wenzel, Samira Lehmann, Pauline Drünert und Sofie. © Thilo Neubacher

Die Geschichte, die die Leipziger Lehmann & Wenzel zusammen mit Christiane Zanger aus Stuttgart auf die Westflügel-Bühne bringen, basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch der niederländischen Schriftstellerin Els Pelgrom, die dafür 1986 den Deutschen Jugendliteraturpreis gewann. Die todkranke Sofie möchte unbedingt noch wissen, was das Leben alles zu bieten hat und wird von ihren Puppen- und Stofftierfreunden – als da sind: der Kater Terror, ein knuffig-schrulliger Kerl namens langer Lappen, Bär und die Puppe Annabella – mitgenommen auf eine phantastische und furiose, letzte Reise.

Du hast alles wissen wollen, also sollst du auch alles wissen.

Und dabei geht es verdammt hart zur Sache, geschont wird die Kranke nichtnichten. Aber begleitet und getragen von der Zuneigung ihrer Freunde. Mit sparsam eingesetzten Requisiten und der Melodie von „Die Gedanken sind frei“ auf dem Lippen springen die Spieler so leichtfüssig wie ernsthaft mitten hinein in das ganze, schrecklich-schöne, fröhlich-traurige, harte und zarte Etwas, das Leben heißt. Überfluss lernt Sofie kennen und bittere Armut, echte Freundschaft und Egoismus, Aufrichtigkeit und Lüge.

Freiheit für langer Lappen!

Es ist eine rasante Fahrt, voller skurriler Ideen und liebenswert-absurder Figuren, die kaum Zeit zum Luftholen lässt und frohgemut überfordert. Gerade haben wir Bär aus dem Moor gerettet, da verliert Sofie schon ihre schönen, langen Haare und noch bevor dieser Schock verdaut ist, spielt das Leben schon die nächste Karte – und wie im „echten“ zieht man mal eine gute, mal eine schlechte.

Behände wechseln die Spieler vom Puppen-Figuren- ins reale Schauspiel. Da legt Samira Lehmann die Fingerpuppe beiseite und wird virtous zum schwarzen Kater. Stefan Wenzel wechselt vom schnoddrigen langen Lappen zum grausam-komischen Herz-König, der Alice-im-Wunderland-like „Kopf ab!“ befiehlt und dem Sofie mit Sprühsahne bewaffnet tapfer gegenübertritt, während das Publikum als jubelndes Volk herhalten muss. Und da leiht Pauline Drünert so pragmatisch wie anrührend der kahlköpfigen Sofie ihr langes, blondes Annabella-Haar.

Als Momente des Innehaltens auf dieser Achterbahn sind jene Szenen gesetzt, in der die drei Spieler ihre Sofie bewegen – zärtlich, behutsam, achtsam auf jedes Detail.

Traurig ist das, aber genauso auch lustig, beängstigend zuweilen, aber immer voller Lebensmut und Poesie. Drumherum geht es fast ein wenig zu Holterdipolter zu und man wünscht sich, die Inszenierung hätte sich noch ein wenig mehr Zeit genommen. Aber hey, wir haben nur eine Nacht! Und vielleicht ist das auch zu sehr der Erwachsenenblick, der verstehen will, wo es gilt, sich hineinzustürzen und mitreißen zu lassen. Und deshalb sollte die Frage ans eventuelle Begleitkind am Ende auch nicht sein: „Ja, hast du überhaupt alles verstanden?“, sondern vielmehr: „Was hast du alles gesehen?“.

Denn das ist eine Menge, garantiert bei jedem anders und es wirkt noch eine lange Weile nach. Ganz klare Empfehlung für alle ab – sagen wir mal 9, 10 Jahren. Und ausdrücklich auch für Große


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