Das Stuttgarter Fitz veranstaltet ein skurriles Performance-Wochenende: das „Theater-Wellness-Festival“
erschienen am 04.12.2017 von Sabine Fischer bei StZN
Irgendwo nagen sie doch immer: Wie hartnäckiger Schimmel setzen sich Angst, Zweifel und all ihre anstrengenden Gefühlsgeschwister in unseren Köpfen fest. Bei den ersten Stuttgarter Heiltagen, einem zweitägigen „Theater-Wellness-Festival“ im Fitz, probte man deshalb nun in oft herrlich skurriler Kuratmosphäre den Exorzismus: Weg mit den negativen Existenz-Wehwehchen, Heilung für alle.
Und die hatte während der beiden Festivaltage viele Gesichter: Kurzfilme, subversive Performances, kurze Inszenierungen wie das eindringliche Stück „Gilgamesch“ und humorvolle Einschübe wie die skurrile Jodeltruppe „Die Rüsen“ schrieben die Zeilen für ein großteils wunderbar ironisches Loblied auf den Heilungswahn, der sich als Rückkopplung der modernen Selbstoptimierungssucht selbst ad absurdum führt.
So nahm sich zum Beispiel das „Self Improvement Center“, eine mehrere Stationen umfassende Performancereihe von Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, augenzwinkernd der Probleme postmoderner Großstadtkinder an. Am „Schrottplatz der schlechten Gedanken“ kritzelten die Zuschauer mit Kugelschreiber prophylaktisch Ängste und Probleme auf die Arme zweier Existenztherapeutinnen – damit diese sie nun symbolisch mit sich herumschleppen.
Dieser interaktive Austausch ist geradezu symbolisch für die Katharsis des unkonventionellen Wellness-Programms: Über der Festivalstätte, die mit Matratzen und Betten im Zuschauerraum die klassische Barriere zwischen Bühne und Publikum kippte, schwebte eine Stimmung zwischen Gurkenmasken-Urlaub und Therapiestation. Passend dazu wurden auch die losen Episoden auf der Bühne immer wieder humorvoll unterbrochen und gleichzeitig einzig durch die – oft verzweifelte – Hoffnung auf Heilung verknüpft.
Dass das nicht unbedingt immer gesund sein muss, zeigte zum Beispiel Stefanie Oberhoffs bissige Performance „Schnitzel of Love“. Nachdem sie sich nämlich den Kummerspeck, den sie sich nach ihrem letzten Liebesaus angefressen hat, mühsam aus dem Bauch geschnitten hatte, fädelte sie dem negativen Gefühlsschwabbel Gesicht und Arme an: Es wurde zur singenden Diva und träumte vom Neuanfang. Endlich nicht mehr das traurige Überbleibsel schlechter Erfahrungen sein, säuselte es in ausladender Ekstase – und hüpfte in die Bratpfanne, um als knuspriges Steak zur Geschmacksexplosion zu werden.
Diese Erfahrung machte auch der Klangkünstler Matski Aerts mit seinem „Dallas Kingston Kollektor“: Mit einer blechern schrammelnden Soundcollage, die sich bis ins Unerträgliche nach oben schraubte und gegen die Ohren der Zuschauer hämmerte, machte er Platz für Unwohlsein – und wurde dabei von einem Teil des Duos „Unge & Tüm“ begleitet (Larissa Jenne und Salomé Klein): einem tanzenden Fellmonster, das sich in der Leistungsgesellschaft selbst nicht mehr erkennt.