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Geniestreich: „Die Empfindsamkeit der Giganten“

erschienen am 16.09.2016 von Steffen Georgi bei Leipziger Volkszeitung

„In jedem Geniestreich“, behauptete einst Ralph Waldo Emerson, „erkennen wir Gedanken, die wir selbst verworfen haben.“ Nun ja, möglich. Bleibt die Frage: Ist das tröstlich oder das Gegenteil davon? Und wurden uns besagte Gedanken nicht vielleicht sogar eher entrissen? Vielleicht von so Leuten – sprich: Künstlern – wie Charlotte Wilde, Michael Vogel und Christoph Bochdansky? „Die Empfindsamkeit der Giganten“ heißt deren drittes gemeinsames Stück. Am Donnerstag hatte es bejubelte Premiere im ausverkauften Westflügel.

Wo dann auch gleich zu Beginn der Bochdansky dem Publikum eben unumwunden erklärt, warum es eigentlich da sei: „Ihnen Ihr Genie entreißen und demokratisch unter uns verteilen“ – darum gehe es. Aber weil man dem Genie-Potenzial der Zuschauer dann wohl nicht allzu viel zutraut, konzentriert man sich doch schnell auf ergiebigere Probanden. Auf Bach, da Vinci und Dr. Freud, mit denen die Inszenierung dann eine Art psychoanalytischer Voodoo-Beschwörung als Genieobduktion betreibt. Und nein: Das kann man jetzt nicht verstehen – das muss man sehen. Und hören auch.

Diese schwebenden Maskeraden und tänzelnden Nichttänze, die da Bochdansky und Vogel immer wieder auf den Klangwolken Charlotte Wildes vollführen. Die Musik von Bach und Schubert, geboten auf Violine und Harmonium, klug kontrapunktiert mit Percussions-Intervallen und Samples, die gleich akustischen Nebelwänden das nebulöse Geschehen durchzieht. In dem erst einmal Johann Sebastians Kinderklavier, eine Haarsträhne Leonardos und Sigmunds Zigarre als Fetische fungieren, mit denen man jene „Überlagerungen und Verästelungen“ herabbeschwört (und zwar von der Bühnendecke), in denen sich das „Genie gern einnistet, wartend, dass es groß gefüttert wird“. Um es mal mit Zeremonienmeister Bochdansky zu sagen.

Herrlich schicksalergeben

Der wiederum im herrlich schicksalsergeben aufspielenden Michael Vogel ein Medium hat, das sich nicht nur in einen pittoresk-gespenstischen Masken-da- Vinci verwandelt, sondern etwa auch in jenen Hund, der wahrscheinlich ein Wiedergänger von Freuds Chow-Chow Jofie ist (auch wenn er eher nicht wie ein Chow-Chow aussieht). Und der seinerseits mit dem aus da Vincis berühmtem Traum auferstandenen Geier, der ein Milan ist (oder war’s umgedreht?) Gespräche führt, die gern den mosernden Waldorf-und-Statler-Tonfall pflegen. Welcher allerdings perfekt passt, zur Erörterung obskurer Angelegenheiten wie Freuds „Urszenen“-Theorie.

Es ist dabei nun völlig egal, ob man den Begründer der Psychoanalyse tatsächlich für ein Genie oder doch eher – um es mit dem ja auch ziemlich genialen Vladimir Nabokov zu sagen – für einen „Quacksalber aus Wien“ hält: Der Reigen aus grotesken Clownerien und poetischen Absurditäten, der hier in Szene gesetzt ist, ist in jedem Fall einer, der den Geniestreichen der Genies schöne Streiche spielt. Eine empfindsame Spinnerei um bewunderte Giganten, tröstlich verworfene Gedanken und verwirrende Träume.

Die hier auf die Bühne zu bringen, einer der bekanntesten europäischen Objekttheaterkünstler beitrug. Nicht zum ersten Mal im Westflügel, leistet Gyula Molnár für die „empfindsamen Giganten“ jetzt „Entwicklungshilfe“. Genau so steht es im Programmheft. Übrigens einem – das muss man unbedingt noch erwähnen – ausgesprochen schön gestalteten und ebenso lesenswerten (Redaktion: Janne Weirup, Grafik: Robert Voss).

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