Die Stuttgarter Figurenspieler namens Figurenkombinat bieten im Theater FITZ ganz großes Theater: ein Porträt.
erschienen am 02.01.2019 von Nadine Nowarra bei STZN
Eine etwas gruselig aussehende Katze hat ihren großen Auftritt. Kein Fell hat sie, dafür einen merkwürdig geformten Kopf. Die Figurenspielerinnen Esther Falk und Sarah Chaudon führen ihre Puppe geschmeidig über die Bühne des Zentrums für Figurentheater in Stuttgart (Fitz). Die Katze kuschelt sich an ihre menschlichen Co-Stars. Wie das Zusammenspiel zwischen Mensch und Puppe funktioniert, erklärt Falk: „Man muss dem Material zuhören“, sagt die 38-Jährige. „Jede Figur funktioniert anders.“
Aktuell zeigt die Figurentheatergruppe namens Figurenkombinat im Fitz eine Produktion nach E. T. A. Hoffmanns Novelle „Der goldne Topf“. Warum sie sich ausgerechnet für dieses Werk entschieden haben, erklärt Falk: „Anselmus ist im Buch hin- und hergeworfen zwischen verschiedenen Welten, die ihn alle auf ihre Seite ziehen wollen. Dadurch hat er keine Möglichkeit, seinen eigenen Weg zu gehen. Das fanden wir ein sehr zeitgemäßes Thema: die Frage nach Wahrheit, Wirklichkeit, Fake und Fantasie.“ Kennengelernt haben sich die Künstler während ihres Studiums des Fachs Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart.
Mehrere Figurenspieler und ein Musiker kommen seit etwa sieben Jahren regelmäßig in unterschiedlichen Besetzungen zusammen. „Das Figurentheater hat eine eigene Magie. Es hat mich schon zu Abizeiten fasziniert, da es per se verfremdet ist. Eigenschaften der Charaktere werden auf den Punkt gebracht“, sagt Gründungsmitglied Maik Evers. Sarah Chaudon ist zum ersten Mal in einer Produktion des Figurenkombinats dabei. „Ich habe vor meinem Studium gedacht, dass Figurentheater etwas für Kinder ist. Durch abstrakte Bilder drücken wir aber ernste Themen und Emotionen aus.“ Falk bringt das Ziel auf den Punkt: „Es geht uns darum, Fragen statt Antworten zu liefern.“
Das Figurenkombinat realisiert jedes Jahr ein Projekt. Die Planungen beginnen frühzeitig, anderthalb Jahre vor der Premiere. Die erste und vielleicht schwierigste Herausforderung ist: das nötige Geld für das Projekt zusammenzubekommen. Die Gruppe muss ein Theater als Spielort finden, das einen Startbetrag beisteuert. Sie stellt Anträge an Stadt, Land, Bund und Stiftungen, um eine Förderung zu bekommen. „Wir müssen finanziell und zeitlich genau kalkulieren “, sagt Evers. Die Gruppe spielt auch bei Festivals, und es zieht sie auf die Straße.
Das Ensemble kauft die Figuren nicht, sondern stellt sie selber her. „Der bildnerische Aspekt gefällt mir sehr“, sagt Falk. Sie hat schon künstliche Bühnenpartner aus Materialien wie Gipsabgüssen, Legosteinen und Teilen von Handschuhen zusammengenäht. Die Puppen in „Der goldne Topf“ bestehen aus Strumpfhosen. „Das macht sie dehnbar und flexibel“, sagt der Regisseur Christian Müller. Er leitet zum ersten Mal das Bühnengeschehen beim Figurenkombinat. Ansonsten verwirklicht er mit dem freien Ensemble Citizen Kane Kollektiv Projekte und ist im Kinder- und Jugendtheaterbereich als Regisseur unterwegs, unter anderem beim Jungen Ensemble Stuttgart.
Das Ensemble tastet sich während der Probeprozesse an die Materialien und Objekte heran, die auf der Bühne eine Rolle spielen werden. „Im Figurentheater geraten die Dinge an sich in den Vordergrund“, sagt Evers. „Wir schauen, wohin sie uns führen.“
Dafür erzählen sie nicht einfach chronologisch und geradlinig eine Geschichte, sondern nehmen inhaltliche Aspekte und Charaktere auseinander, verwenden verschiedene theatrale Formen und Formate. Beim „Goldnen Topf“ sieht man nicht nur Puppenspiel, auch Musik und Multimediales verwandeln die Bühne in einen anderen Ort. Anders als früher versteckt sich der Spieler auch nicht mehr hinter seiner Figur, sondern ist präsent und darf mitspielen. Manche Puppen werden während der Vorstellung gefilmt und auf eine Leinwand projiziert. So können auch kleinere Figuren einen großen Auftritt bekommen: Sie werden im Stück sogar in eine Flussszene verfrachtet.