Klug durchdachte und auf das Feinste umgesetzte Neuerzählung der Weihnachtsgeschichte.
erschienen am 15.01.2014 von Manfred Jahnke bei Double
Ein Lichtstrahl hinten links, eine Tür fällt zu, eine Frau schiebt hastig einen Einkaufswagen herein, rennt hin und her, versucht Staniolpapier von einem Schokoladenweihnachtsmann zu entfernen. Aber wandernde Lichtstrahlen zwingen sie immer wieder, diesen Weihnachtsmann zu verstecken. Bis sich die Lage beruhigt, Elsa das Publikum entdeckt, tief durchatmet, es verschmitzt anlächelt, den Einkaufswagen in eine Ecke schiebt und ein Schild aufstellt mit dem Angebot „ein Euro für eine Geschichte“.
Elsa ist eine Obdachlose, die sich mit forderndem Lächeln in die Herzen der Zuschauer spielt. Wir kennen diese von Anne-Kathrin Klatt erfundene Kunstfigur schon aus „Elsas Schöpfung“. Sie ist in der neuen Inszenierung „Elsas heiligste Nacht“ vom Figurentypus her gleich – und auch wieder nicht. In der ureigenen Nacherzählung der Weihnachtsgeschichte verankert Klatt die Figur stärker in ihrem sozialen Status, ohne dass sie dabei das Spielerische verliert. Mit Witz werden die Materialien, die Elsa staunend aus ihrem Einkaufswagen holt, animiert;. Da wird eine Kugel mit Lametta zum Kometen, der die drei Könige, die aus Schokolade sind, führt. Aus Tüchern werden Maria und Joseph geformt, mit großer Komödiantik die altvertraute Geschichte erzählt.
Diese wird nicht ironisch gebrochen, was ja nahe läge, wenn Alltagsgegenstände und Konsumartikel als Material benutzt werden, wenn von einem Kassettenrecorder die altbekannten Liedweisen bis hin zu „Happy day“ tönen: Nein, dies ist die Kulisse, die uns alltäglich umgibt und die wir kaum mehr befragen. Genau das aber tun Anne-Kathrin Klatt und ihr Regisseur Michael Miensopust mit der von Elsa erzählten Weihnachtsgeschichte unaufdringlich, ohne Zeigefinger, sondern als pures Spielvergnügen: indem im Bildmaterial auf die Geschichten von Kindern in unserer heutigen Welt hingewiesen wird, auf Migration und Flüchtlingselend. Da kommt bei Elsa nicht nur Trauer, sondern auch Wut auf, wenn sie realisiert, wie diese alte Geschichte im Konsum erstickt und in ihrem eigentlichen Gehalt vergessen wird.
Nebel wallt, die Sachen werden wieder in den Einkaufswagen geworfen, die Geschichte ist erzählt. Was die Klatt das macht, ist nicht nur klug durchdacht, sondern auch auf das Feinste umgesetzt. Da entsteht mit wenigen, aber genauen Mitteln eine pralle Figur, da wird jedes „Materialstück“ auf den Punkt präzise animiert, stimmen Musik (Auswahl: Christian Dähn) und Spiel überein und treffen die Momente der Interaktion mit dem Publikum. Wenn überhaupt Kritik geübt werden kann, dann könnte das Ende des Spiels noch ein wenig straffer organisiert werden. Schade nur, dass diese Geschichte so „speziell“ ist, dass Veranstalter sie nur zur Weihnachtszeit einladen werden. Das sollten sie dann aber bestimmt tun! Auch wenn eine sehr heutige Obdachlosengeschichte vielleicht nicht ganz so viele Besucher ins Theater ziehen mag, wie eine Weihnachtsidylle aus alten Zeiten.