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Klappernde Romantik

Daniil Charms‘ „Zirkus Sardam“ im Stuttgarter Fitz

erschienen am 02.04.2011 von Petra Bail bei Esslinger Zeitung

Stuttgart - Die Vorstellung beginnt: „Der erste Teil auf der Erde, der zweite unter Wasser, bis wir euch wieder nach Hause lassen.“ Die versteckte Drohung des Zirkusdirektors zeigt Wirkung. Mit anarchischer Komik, Gags, Missgeschicken und kleinen akrobatischen Wundern schwingt sich Daniil Charms‘ absurdes Theaterstück „Zirkus Sardam“ hoch hinauf am emotionalen Trapez, dass das Publikum im Stuttgarter Fitz seine helle Freude hat. In der Regie von Hendrik Mannes spielen Anna Fregin, Florian Feisel und Christoph Hamann in diesem zauberhaften Stück, das Charms, der russische Meister des Absurden, 1935 für das Leningrader Marionettentheater geschrieben hat. Es wurde damals nach der Premiere sofort abgesetzt und verboten, der Autor angeklagt und ins Gefängnis gesteckt, wo man ihn verhungern ließ.

In den Stücken des russischen Poeten schwingt immer eine Ahnung von den Grausamkeiten unter dem stalinistischen Regime mit. Gewalt erscheint in der Arena des Lebens ins Groteske verkehrt, Menschen verschwinden einfach in riesigen Metallkugeln. Regisseur Mannes hat das unterschwellig und das offensichtlich Vergnügliche zu einer witzigen Mischung aus Figurentheater und Schauspiel, Zirkuskunst und Pantomime verwoben. Im Mittelpunkt der dadaistisch anmutenden Nummernrevue mit Seiltänzerinnen und Kraftmeiern steht Vertunov, tollpatschig und talentlos. Der große Mann im kleinen Ringeltrikot möchte mitmachen. Er gibt vor, fliegen, bellen und grunzen zu können. Alles misslingt, und er wird vom Zirkusdirektor aus der Manege verwiesen. Dabei wollte er doch nur „den Augenblick einfangen“.

Redewendungen, überhaupt die Sprache, sind bei Daniil Charms auf dem Prüfstand. Worte geraten zu poetischen Zauberformeln - ein Abrakadabra der Wortmagie, bei der der Name des philippinischen Jongleurs „Am gam glam Kaba laba Saba laba Samba gib tschip lib Tschiki kiki Kuki luki Tschuch schuch Sdugr pugr Of of Prrr“ zum lustvollen Zungenbrecher wird . Befreit vom allgemeingültigen Sinn, hingeführt zum hellen Blödsinn, zeugen die Sätze, die den Gehirnwindungen schmeicheln, von der unbändigen „Sehnsucht nach Ausschweifung der Seele“, wie es der Direktor dieses „Topfdeckelklappern der Romantik“ bezeichnet.

Eine Gliederpuppe beobachtet staunend die schweißtreibenden Kunststücke der Artisten. Sie verschwinden in Metallkugeln, strecken Arme oder Beine heraus und mutieren so zu neuen Kugelkörperformen. Kleine Fledermäuse zappeln mit ihren Miniflügeln, und Pinky, das riesige Krokodil mit Pappmascheekopf und selbstgestricktem Leibchen, liebt es nun mal, lebendige Menschen zu fressen. Die grotesken Episoden und schrägen Sätze lassen den Zuschauer ahnen, dass hinter dem rabenschwarzen Humor die Tragik des reinen Terrors lauert.


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