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Können Vögel träumen?

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Können Vögel träumen?

Das Figuren- und Tanztheater "liquid skin" im Kammertheater

Von Hannelore Schlaffer

Wenn sich Körperteile verselbstständigen, ist es ratsam, an Symbolisches zu denken. Wenn Arme mit langen, krallenartigen Händen durch den Raum schweben und Krötenköpfe sich einem Menschen nähern, kann das Gespenstische kein purer Spaß sein. Und wer die Geschichte von Per Olov Enqvist nicht kennt, die das Tübinger Figurentheater zu sammen mit Igneous aus Brisbane in Szene setzt, der bleibt auf kulturhistorische Vermu tungen angewiesen, um die Choreografie auf der Bühne des Kammertheaters zu deuten.

Der australische Tänzer James Cunningham und der Figurenspieler Frank Soehnle begeben sich offensichtlich auf eine Jenseits reise zum verstorbenen ägyptischen König. Die Fahrt in die Unterwelt geht über einen See und landet auf einer Insel. Dort schält sich James Cunningham als Wanderer zwi schen den Welten aus einer Hülle, um nun in einem vergilbten Leib weiterzuleben, der noch immer an das Gold der Könige erinnert. Ein schwarzgesichtiger Totengott mit Schlan genhaupt reicht ihm die Kopfbedeckung, die durchaus noch an jene des Pharao erinnert. Darunter versteckt der Ankömmling sein Ge sicht und harrt der Wesen, denen zu begeg nen ihm auf seiner Fahrt beschieden ist.

Diese Wesen sind durchsichtige Körperteile, Plastikgespenster, seltsame Kopfgebur ten. Während sonst von Verstorbenen nur Skelette bleiben, scheint ihnen an diesem schaurigen Ort die Haut geblieben zu sein, die Titel gebende "liquid skin", die ungestalt und als gläserne Helligkeit durch die Nacht taumelt. So entsteht das Gegenteil eines Schattenspiels: Nicht der dunkle Umriss zeigt sich vor hellem Hintergrund, sondern eine Durchsichtigkeit bewegt sich vor schwarzgrauer Wand. "Können Vögel träu men?" lautet der Satz, der das Lichtspiel eröffnet und die Deutung lenkt. Ist die Jen seitsreise des Königs ein Traum, in dem ihm gallertartige Erinnerungsreste begegnen?

Die Inszenierung arbeitet mit allen Mit teln, die der Kunst heute zur Verfügung stehen, vor allem mit Musikeinlagen und Videoeinspielungen, die Meere an die Wand projizieren oder Schriften, die dunkle Ge heimnisse enthalten. Das so entstehende Gesamtkunstwerk aus Bewegung, Klang, Bild und Film erzeugt zwar eine dämonische Stimmung, aber dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass die Technik hier allzu leichtfertig und unbedacht eingesetzt wnu. Der Puppenspieler und der Tänzer werden von den medialen Helfern rund um die Perfor mance beinahe in den Hintergrund gedrängt - mit dem Ergebnis, dass im Kammertheater die aufwendige Technik die Stimmung stiftet, nicht der Künstler.

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