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Lasst Knüppel sprechen!

Das Berliner Figurenfestival „Alles Kasper!“ feiert einen Anarchisten. Ob depressiv, freudianisch-aufgeheizt oder geizig - der Kasperle eignet sich für die Darstellung jedweder Eigenschaften.

erschienen am 29.10.2007 von Patrick Wildermann bei Der Tagesspiegel

Die meisten kennen ihn heute bloß als ulkigen Kerl, der den Kindern das Zähneputzen beibringt. Oder die Verkehrsregeln. Aber dieser Pädagogen-Kasper ist nur der fade Abglanz seines wahren, aufmüpfigen Selbst, seines volkstümlichen Charakters als Obrigkeitsspötter, Raufbold und Todesverächter. (...)

Das subversive Potenzial des Kaspers ist im gegenwärtigen Konsens-Deutschland zwar kaum unter Beweis zu stellen, die ungebrochene Vitalität des harlekinesken Helden aber sehr wohl. „Kasper tot. Schluss mit lustig?“ – so kokettiert Ernst-Busch-Absolvent Lutz Großmann in seiner furios-kabarettistischen Eröffnungsinszenierung. Sein sächselnder Handpuppen-Kasper, phänountypisch ohne roten Säuferzinken, dafür mit feinen bleichen Zügen versehen, leidet an Depressionen, der Klimawandel drückt ihm aufs Gemüt. Zudem haben Tod und Teufel eine Intrige ausgeheckt und das Textbuch der ach so bekannten „Seid ihr alle da?“-Geschichte umgeschrieben, um endlich einmal als Sieger aus dem Spiel hervorzugehen. Sie gaukeln dem armen Kerl einen Gehirntumor vor. „Was soll ich bloß tun?“, fragt der zerquälte Kasper. „Geh in die Charité!“, ruft’s aus dem Publikum. Es ist das einzig legitime Mitmachtheater. Im Zuge irrwitziger Metavolten steigt Kasper schließlich ins eigene Unterbewusstsein hinab, wo die Liebe zum Gretchen und sein Knüppel, im Fachjargon Pritsche, begraben liegen, und gewinnt wieder die Oberhand.

 

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