erschienen am 02.11.2003 von Horst Lohr bei Stuttgarter Nachrichten
Eins, zwei, Wie geschritt. Eins, zwei, Wiegeschritt: Geführt vom Schmeicheln ungarischer Roma- Klänge, tanzt das bäuerlich fremdartige Paar in die gemeinsame Zukunft. Um seine Liebste heimzufahren, funktioniert er einen Küchentisch zum Fuhrwerk um. Die groben Stiefel der beiden mit den ewig langen Schnürsenkeln mutieren zum Pferdege spann am Zügel.
"Nachtwandler" nannten Gyula Molnar und Annette Scheibler ihren mit dem Stutt garter Theater Peppermind koproduzierten und von Francesca Bettini inszenierten Traum vom erfüllten Leben im Zweiertakt. Dabei gelingen den beiden Spielern gleicher maßen ironisch expressive wie symbolträch tige Bilder voll Poesie und Witz.
Zwei chaplineske Melancholiker suchen im Buchstabensalat einer alten Schreibma schine nach dem Sinn des Lebens und verir ren sich dabei im Labyrinth der Sprache. Er will sich als Mann erleben, indem er von einem Krieg in den nächsten stolpert. Auf seiner Brust haftet als Verdienstorden das Bügeleisen, mit dem sie ihm seine Uniform
geplättet hat. Ihr bleibt derweil nur die Flucht ins Dasein des Heimchens am Herd. Die nackten Beine benötigt sie nicht mehr zum Lustgewinn ihrer besseren Hälfte, son dern nur noch als Besen, die zerschlagenes Porzellan zusammenfegen dürfen. Scherben der zu Bruch gegangenen Illusionen zweier Lebensakrobaten, die sich gegensei tig beim Balanceakt auf einer Kaffeetasse stützen müssen.