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Liebeserklärung ans Figurentheater

erschienen am 15.11.2010 von bei MOZ

Frankfurt (Oder) (moz) Wie von Zauberhand bewegt, tanzen die Blätter durch den Raum. Graziös, anmutig. Und doch ganz einfach. Für die Zuschauer im Frankfurter Theater des Lachens fast unsichtbar, hängt jedes von ihnen an einem dünnen Faden. Wird hinter den Kulissen daran gezogen, folgt das Blatt der Bewegung – und natürlich nicht nur an dem Punkt, an dem es fixiert ist, sondern bis ins letzte Eselsohr. Noch bevor die erste Minute der Inszenierung vergangen ist, hat sie ihn schon auf den Punkt gebracht: Heinrich von Kleists Aufsatz „Über das Marionettentheater“.

200 Jahre sind vergangen, seit der Dichter ihn in den Berliner Abendblättern veröffentlichte. Was er in dem Text über Bewegungen und deren Schwerpunkt schreibt, gehört für Puppenspieler heute zum Ausbildungsstoff. Trockene Theorie also? Nein, viel mehr, wie dieser von Frank 
Soehnle auf schönste Weise inszenierte Abend mit dem Untertitel „Die Überwindung der Schwerkraft in drei Akten“ beweist. Am Freitag feierte er im Rahmen des dritten Frankfurter Osthafen-Festivals seine umjubelte Premiere.

Es sind starke, klare Bilder, die der Mitbegründer des Figurentheaters Tübingen und einer der bekanntesten Figurenspieler Deutschlands für Kleists Thesen gefunden hat. Da tanzen an Schnüren hängende Pflastersteine ein von einer rundlichen Marionette dirigiertes Ballett oder mühen sich die Spieler mit aufgesetzter Lässigkeit, die Bewegungen eines Gliedermannes nachzuahmen. Wie war das doch gleich mit der Entstehung von Anmut und Grazie? Und wo sitzt sie hier nun, die Seele des Tänzers?

Mehr als ein Dutzend Puppen treten auf, von einer schnell aus Papier zusammengedrehten Figur bis zur lebensgroßen Marionette. Torsten Gesser, Björn Langhans und Alice Therese Böhm führen sie – fingerfertig, präzise, konzentriert. An die Wand projizierte Auszüge aus Kleists Aufsatz sind ihr Fahrplan; dazu wird aus Briefen zitiert, die Henriette Vogel an den Dichter geschrieben hat, jene Frau, mit der er 1811 in den Tod gegangen ist.

Der Abend ist ein Fest der Illusion, eine Liebeserklärung ans Figurentheater, voller Poesie, Witz und Tiefgang. Und dann, in einem dieser magischen Momente, scheint sie tatsächlich aufgelöst, die Trägheit der Materie, „dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften“. Zwei etruskisch schmale Marionetten drehen sich grazil unter dem Bühnenhimmel – „weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist, als jene, die sie an die Erde fesselt“.

Das Publikum im ausverkauften Theater des Lachens ist begeistert, der Applaus überschwänglich. Ein gelungener Festivalhöhepunkt, der sich schon jetzt als Beitrag des Hauses zum kommenden Kleist-Jahr empfiehlt. Und eines der schönsten Beispiele dafür, was und wie gut Figuren- und Objekttheater sein kann.

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