Figurentheater «Vagabu» zeigt ein schwarzes Stück über zwei arme Schweine, die vom Regen in die Traufe fliehen.
erschienen am 19.01.2013 von Verena Stössinger bei BZ Basel
75 OOO Schweine leben in Pork City, dem putzigen «Fünf-Sterne-Hotel» für Schweine «in Wohlfühlarchitektur». Ihr Leben besteht aus Siesta, Schlammbad, Siesta, Brunch, und so weiter. Jedes Tier hat sein Zimmer mit Fenster zur Welt, und einen Arzt gibt es in dem Gebäude auch sowie einen Psychiater. Die Schweine sollen sich wohlfühlen; denn wissenschaftlich erwiesen sei, sagt uns der Mann im rosa Plastikanzug (Pierre Cleitman), dass Aufregung pro Schwein 20,5 Gramm Gewichtsverlust beim Schlachten bedeute - und das kann sich die Konsumgesellschaft nicht leisten. Seine eifrigen Assistenten im weißen Schrumpelanzug (Christian Schuppli, Marius Kob) nicken eifrig.
Der «Kreuzzug der Schweine», die neue Produktion des Riehener Figurentheaters Vagabu, installiert eine von Anfang an labile Idylle. Die Bühne hat etwas von einem Kirchenraum: Der bespielbare Bühnenprospekt ist ein aufklappbares Triptychon, ein dreiteiliges Hintergrund-Bild. Davor steht ein schmaler, mit rotem Samt bespannter Tisch, der aussieht wie ein Altar. Diese räumliche Assoziation - die ja schon im «Kreuzzug»-Wort des Titels des Abends erscheint - erschließt als schwarzer Kommentar denn auch die ganze, stundenkurze dunkle Aufführung.
Gleichgeschlechtliche Tierehe
Erzählt wird von zwei Schweinen, Hans und Flöri, die sich für Größeres geschaffen fühlen als die fraglose Opferexistenz in Pork City. Sie entflammen in gegenseitiger Liebe; aber können Schweine überhaupt heiraten? Gar gleichgeschlechtliche? Sogar kastrierte? «Es sollte gehen», sagt die kluge Ratte, die behauptet, alles zu wissen. Sie traut die beiden denn auch nicht nur nach unverkennbar christlichem Ritus, sondern gibt ihnen auch Einblick in ihr Schicksal. Pork City ist ja eine Mästungs- und Tötungsfabrik. Das Wohlgefühl soll nichts weiteres als das Tötungsgewicht erhöhen. Hans und Flöri erfahren von den Hexenprozessen gegen Schweine im Mittelalter - szenisch ist das umgesetzt in eine grimmige Prozession. Sie beschliessen zu fliehen, denn «etwas Besseres als Tod findest du überall», hofften ja auch schon Grimms Bremer Stadtmusikanten.
Das Paar will in den Nahen Osten. Die beiden haben gehört, dass da kein Schweinefleisch gegessen wird. Doch auf dem Weg da hin - wir sehen ihn auf dem zusammengeklappten Dreifachaltar -, der über Zagreb, Thessaloniki, Istanbul, Damaskus und Beirut führt, greift ständig irgendwer gierig nach ihnen. Und sie verlieren Glied um Glied; «jetzt hab ich nichts mehr», sagt der eine schließlich zum anderen. Trost gibt es nicht. Denn in Jerusalem wird zwar kein Schweinefleisch gegessen, aber Schinken exportiert.
Von Hans und Flöri ist zuletzt nichts mehr da außer der Liebe zueinander. Was für ein rabenschwarzes Stück. Puppenspielerisch auf fast niedliche, naiv kindliche Weise dargeboten ist es eine abgrundtraurige Allegorie auf das (leider reale) Leben.