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Sandwich

Unter morschen Bühnenbrettem zieht Michael Vogel ganz Dänemark als Puppenstaat hervor. Virtuos.

erschienen am 04.03.2000 von Anja Lauper bei Tages Anzeiger Zürich

Da ist etwas faul im Staate Dänemark. Das Erste, was das Auge in «Exit. Eine Hamletfantasie» erblickt, ist ein Totenbeinchen, das kokett und fern vom dazugehörigen Körper an eine wacklige Bretterbühne gelehnt steht. Der staubige Keller darunter ist noch ungemütlicher: Nebst abgetrennten Händen und einem Fuss lagern hier grinsende Totenschädel.

Auf diesem unsicheren Boden macht sich Michael Vogel vom Stuttgarter Figurentheater Wilde & Vogel zu schaffen. Aus einer Keksdose befördert er Polonius und Hamlet als Kleinst-Handpuppen ans spärliche Licht einer Funzel. Den beiden Winzlingen kommt ihre Befindlichkeit am dänischen Hof spanisch vor. «Nichts als Worte», beklagt sich Hamlet und wiegt sein Mauseköpfchen. Die röhrende Rockgitarre Charlotte Wildes stimmt ihm zu. Aus einem Loch, in das der Puppenmeister fällt, zieht Vogel den Totengräber hervor, der sich als Hamlet-Darsteller im Ruhestand vorstellt. In einer der genialsten Szenen der Theatercollage bringt die Schauspieler-Puppe dem unwissenden Schnösel, der sie führt, Shakespeares Story bei. Die verräterische Mutter ist ein Totenschädel, der Königsmörder eine Lunchbox und eingeklemmt zwischen dem mörderischen Paar leidet Hamlet, ein Sandwich.

Im Zeitraffer lässt das Figurentheater die einschlägigen Szenen verschiedener Hamlet-Bearbeitungen Revue passieren und verwebt sie mit lyrischen Texten zum Thema Tod. Virtuos schlagen die Stuttgarter den Bogen von Shakespeare zu Peter Weiss, von Declan MacManus zu Yeats. Wilde & Vogel ziehen dabei alle Register. Im Handumdrehen wird ein Stoffbündel zur wolllüstigen Mutter, ein Laken mit einer lächerlich winzigen Visage zum fiesen König. Ein grossartiger Abend.

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