Stuttgarter Figurentheater FITZ spielt "Die Besessenen" nach dem gleichnamigen Roman von Witold Gombrowicz
erschienen am 25.09.2004 von Helga Stöhr-Strauch bei Esslinger Zeitung
Stuttgart - Wüste Gestalten im finsteren Schiffsrumpf, lodernde Leidenschaft und schließlich ein Mord: Mit diesen Ingredienzien reicherte der polnische Autor Witold Gombrowicz 1939 seinen Roman "Die Besessenen" an. Und weil heute sein Name und Werk nicht ganz so geläufig sind wie in den 50er- und 60er-Jahren, dürfte sein 100. Geburtstag ein willkommener Anlass gewesen sein, ihn nun auch für die Bühne auszugraben. Im Stuttgarter Figurentheater FITZ, wo eine Dramatisierung der "Besessenen" als Uraufführung des Figurentheaters Paradox gegeben wird, kann man einen ersten Eindruck von diesem Vorläufer des Existentialismus' gewinnen. Dabei packt die konzentrierte Inszenierung von Ulrike-Kirsten Hanne den Zuschauer dort, wo er am empfindlichsten reagiert: An seinem Orientierungsvermögen. Dunkel ist die Bühne. Wir befinden uns in einem knarzenden Schiffsbauch auf dem Weg nach Argentinien. Illustre Gestalten mit verwegenen Frisuren sind ebenfalls mit an Bord und gebärden sich in ihren Käfigen wie Gefangene. Nur einer scheint hier Autorität zu besitzen. Es ist der Dichter Gombrowicz selbst. Doch schon bald entpuppt auch er sich als ein im Grunde machtloses Geschöpf, das seine Existenz als Autor nur seinen Figuren zu verdanken hat. Es entwickelt sich ein irrwitziges Wechselspiel zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen. Und während die Figuren seine Autorität anzuzweifeln beginnen und - schlimmer noch -sich verdoppeln und verdreifachen, zu fast lebensgroßen Handpuppen, winzigen Marionetten und faustgroßen Gummiköpfen werden, erzählt der Dichter hartnäckig seinen skurrilen Schauerroman weiter, der irgendwo auf einem Schloss im fernen Polen mit Liebe, Leidenschaft und einem geheimnisumwitterten Mord aufwartet. Das Ende dieses Romans bleibt allerdings offen, denn die Ankunft in Buenos Aires beendet den ganzen Spuk. Trotzdem besitzt dieses Traumspiel ein surreales, komisches und an tiefere Wahrheiten rührendes Eigenleben, das über den verloren gegangenen roten Faden hinwegtröstet. Und das ist vor allem den Darstellern Ulrike Kley, Jürgen Larys, Stephanie Rinke und Uwe-Peter Spinner zu verdanken, die mit ihrem Wechselspiel aus Clownerie, Gesang, Tanz und Puppentheater durchweg überzeugen. Auch der kluge Einsatz von Rhythmus-Elementen, Sprechgesang und melancholischen polnischen Liedern trägt dazu bei, eine traumhaft leichte Atmosphäre herzustellen, die den programmatischen und durchaus auf Destruktion bedachten künstlerischen Ansatz des Autors Gombrowicz ("Befreit euch von der Form!") in einem versöhnlichen Licht erscheinen lässt.