Sehr lebendiges Theater
erschienen am 06.05.2017 von Steffen Georgi bei Leipziger Volkszeitung
Ganz verkehrt liegt man nicht, wenn man aufs heutige Theater münzt, was einst Frank Zappa über den Jazz verlauten ließ: Tot, so Zappa, sei der noch nicht, aber er rieche schon etwas komisch. Komisch nun roch es auch am Donnerstag im ausverkauften Westflügel, wo als Neuproduktion „Frankenstein oder Der moderne Prometheus' Premiere feierte.
Eine Inszenierung (Regie: Hendrik Mannes), die selbst wie eine Frankenstein'sche Schöpfung wirkt. Ein bewusst roh aus Theatergattungseinzelteilen verfügter Corpus, der Naht- und Nietstellen sichtbar lässt. Boris Karloffs Film-frankenstein-monster als Bühnenstück, belebt mit den Mitteln der Alchemie und Elektrizität und in Bewegung gesetzt mit Beschwörungen der Poesie, der Musik und des Objekt- und Figurenspiels. Ein pittoresk monströses, grotesk romantisches, schwarzhumorig melancholisches Wesen wird hier für 90 Minuten erweckt.
Die Kulisse ist irgendwas zwischen Labor, Werkhalle und Alptraumlandschaft. Da zucken Blitze, sprühen Wassernebel, flackern Flammen. Zischend und dampfend (und riechend!) ändern sich Aggregatszustände, verwandeln sich Szenenbilder und Materialen, die wiederum das Bühnenpersonal zu verwandeln helfen. Zur Livemusik von Johannes Frisch und Charlotte Wilde werden Winnie Luzie Burz, Jan Jedenak, Stefan Wenzel und Michael Vogel zum Medium für Sujet und Text und scheinen selbst Elemente in diesem Theater der Elemente. Zugleich reflektieren und konterkarieren sie immer wieder diesen Zustand in einem Spiel, das somit auch das Medium Theater selbst reflektiert. Oder das, was man generell als „Schöpfungsprozess' bezeichnen könnte.
Mary Shelleys Text, teilweise aus dem Off, teilweise von den Darstellern selbst gesprochen, ist das Amalgam der Inszenierung, das im Spiel wie Quecksilber flüssig wird. Thematisch treiben die Fragen nach dem „Mysterium der Erscheinung"ebenso wie die Erkenntnis „Welch seltsames Ding ist doch das Wissen!", die Frankensteins Kreatur irgendwann in Form eines nur allzu wissenden Stoßseufzers überkommt - klammert sich das Wissen doch „an unser Inneres wie eine Flechte an den Stein".
Mannes Inzenierung macht einiges auf an Gedanken- und Assoziationsräumen. Zu viel? Man möchte mit einem eindeutigen „Jein"antworten. Manchmal wuchern hier Subtext, Intellektualität und Querverweis wie eine Flechte. Dann gibt es wieder bestechend klare, luzide Szenen und Bilder. Nicht, weil sie simplifizieren, sondern weil sie treffend und irritierend zugleich sind: Das Vertäuen und Umwinden eines Darstellers mit durchsichtigen Klebebändern, die gespenstisch rituell anmutenden Wachsmaskeraden, die herrlich überkandidelt gebotenen Jahrmarktbuden-„Zaubertricks"oder das Intermezzo eines Grand Guignol mit Körpern am Spieß, das geradezu lustvoll zelebriert wird.
Musikalisch gibt's dazu neben einem atmosphärischen Soundteppich mal deftigen Blues, mal alte Hippie-träume ä la „Woodstock". Oder man scheitert gesanglich an Screamin' Jay Hawkins „I Put A Spell On You"ebenso beherzt und hinreißend wie an Purcells „When I Am Laid In Earth". Passt zur Inszenierung, die Theater auf eigenwillige Art zum Leben erweckt und hinterfragt. Zeigend, dass diese Kunstform nicht tot ist - und warum es komisch riecht.