Coline Petit setzt dem gängigen Schlankheitswahn in ihrem Figurentheater den Wunsch nach Masse entgegen.
erschienen am 24.04.2017 von Arnim Bauer bei Ludwigsburger Kreiszeitung
Die meisten Menschen der Wohlstandsgesellschaft möchten schlank sein. Nicht so die Protagonistin der in Stuttgart lebenden französischen Figurenspielerin Coline Petit. Die ist schlank und möchte fett sein. So wie ihre wohlgerundete Puppe, die den Spiegel ihrer Seele ausdrückt.
Also verwandelt sich auch die lebendige Figur. Wabbelige, durchsichtige Beutel, mit Wasser gefüllt, beginnen, sich an ihrem Körper anzusiedeln. Dies geschieht technisch durch eine Art Haltersystem, das Petit am Körper trägt, und an dem die unförmigen Säcke eingeklinkt werden. Nach und nach, immer mit Rück und Seitenblicken durchsetzt, aber mit wenig Sprache, die das Ganze auch für den Zuschauer in eine innere Welt versetzt.
Verzicht auf Kommentare
Es passiert und es bleibt weitgehend verbal unkommentiert, wertungsfrei. So hat man den Ankündigungstext im Kopf: „Ich wollte Masse haben. Ringe Wölbungen. Ich wollte greifen. Ich wollte gegriffen werden. …Mein Körper sollte Schwingungen im Raum einnehmen. Fett! Ich wollte fett sein,“ wird die Künstlerin zitiert. Und genau so passiert es auf der Bühne beim NEWZ-Festival der Uraufführungen im Stuttgarter Zentrum für Figurentheater Fitz. Hier ein Beutel an den Oberschenkel, riesige aus der Form laufende Brüste, ein breites Gesäß.
Petit lässt nichts aus. Und als sie dann wieder das Kleid über die Trikotage und die verschiedenen „Fett“-Polster zieht, ist alles genauso, wie es die Figur im Text gewünscht hat.
Ein spannendes Spiel liegt dazwischen, oft in minimaler Beleuchtung, die sich auf das Geschehen richtet und alles darum ausblendet.Auch hier ziegt sich wieder diese Verinnerlichung, diese eher träumende denn reale Situation. Und das, was sie an diesem Abend zeigt ist tatsächlich Fett accompli, perfektes Fettsein.
Spiel mit der Anomalie
Dieses Stück spielt mit der Anomalie, es vermeidet aber Wertungen. Es kann als ein Plädoyer gegen Schönheitsnormen aufgefasst werden, als ein kleines Märchen vom Selbstbewusstsein, vom Mut, gegen den Strom zu schwimmen, nur für sich selbst zu agieren. Viel bilderhafte Poesie aber keine Moral von der Geschicht‘ zeichnet Coline Petits Figurentheater aus. Vielmehr wird der Zuschauer mit seinen Fragen und Gedanken seinen eigenen Überlegungen und Empfindungen überlassen. Was er damit nach einem gelungenen Spiel anfängt, geht über die Bühnengrenze hinaus.