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Wie ein Jungmacho zur Frau wird

Ein Roman von Virginia Woolf wird fürs Figurentheater adaptiert: „Orlando"-Premiere im Fitz

erschienen am 04.10.2008 von Cord Beintmann bei Stuttgarter Zeitung

Am schönsten ist Theater, wenn man nicht viel denken muss, sondern einfach nur hinschaut. Wenn auf der Bühne etwas geschieht, das berührt, amüsiert oder einen mächtig fortzieht von Szene zu Szene. In „Orlando", der neuen Produktion von Anne-Kathrin Klatt im Fitz, ist jedes Bild unvorhersehbar. Man sieht ein nacktes Bein, gegen eine Wand gestemmt. Oder eine graue Filzdecke, die langsam entrollt wird und sich als unerhört lang erweist, mindestens zwanzig Meter. Oder aber es taucht eine sehr anziehende Russin mit Pelzkappe und Rollschuhen auf, die einen unsichtbaren Liebhaber in einem ulkigen Russisch-Kauderwelsch umgurrt.

Jutta Schubert (Regie) hat den Text der Produktion nach dem Roman „Orlando" von Virginia Woolf entwickelt. In ihrer parodistischen Biografie erzählt Woolf das Leben eines jungen Mannes, der 1570 geboren wird und 1928 erst dreißig Jahre alt ist. Anne-Kathrin Klatt spielt Orlando zu Beginn als putzigen jung-Macho mit rötlich-britischer Plüschfrisur, der sich unbedarft durch die Frauenwelt liebt. Seine Gigologeschichte wird von einer Stimme aus dem Off erzählt, die plötzlich auf der Bühne selbst ertönt, aus dem Mund einer etwa meterhohen Puppe: Virginia Woolf mit sauertöpfischer Miene, steifer Handtasche und blickdichten Strümpfen.

Nonchalant und witzig verknüpft Schuberts Inszenierung den Roman mit der püp-pisch präsenten Person der Autorin. Zentrum der Geschichte ist Orlandos überraschende Verwandlung in eine Frau, und diese Szene ist grandios geraten. Anne-Kathrin Klatt bedeckt ihren nackten Körper mit einer Art Paste, schüttelt die getrocknete Umhüllung ab und wird weiblich. Dann greift sie zu einem Kleid, streift es sich über, und es wird deutlich, dass es eine Geschlechtshaut ist. Die dichteste Szene des Stücks. Dazu ertönen sperrige Geigenklänge (Musik: Klaus Rother).

Mit seiner neuen Existenz als Frau kommt Orlando nicht zurecht, geht mit Mühe, kriecht gar auf dem Boden. Zwischen Frauen und Männern liegt ein Graben, das wird hier gezeigt. Orlando stürzt in ein Dasein als plapperndes Gesellschaftsfrauchen. Ein alter, reicher Mann will sie haben. Auf der Fitz-Bühne ist er ein winziger grüner Frosch, von Klatt an zwei Fäden geführt und eklig an ihrem Körper emporglibbernd.
Figurentheater kann von erbarmungsloser Radikalität sein. Und es arbeitet mit Material. Auf der Bühne liegen Decken, die mal Bett, mal Kuschelunterlage, mal Eis sind. Stefanie Oberhoff (Ausstattung) hat sich aufregende Gegenstände für die Bühne und wundervoll sprechende Kostüme ausgedacht. Figurenthater ist kein Texttheater, sondern ein Theater der Dinge. Das zeigt diese mitreißende Produktion beispielhaft.

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