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Wie fühlt sich Leben an?

Anne-Kathrin Klatt im Fitz

erschienen am 04.10.2008 von bei Stuttgarter Nachrichten

Ein blondgelockter Jüngling in Pluderhosen ficht mit einem Zweig wild gegen einen von der Decke baumelnden Tuchklumpen: Der 16-jährige Möchtegern-Draufgänger tollpatscht einen Männlichkeitsritus. Orlando heißt der junge Aristokrat, genau wie die Produktion der Stuttgarter Figurenspielerin Anne-Kathrin Klatt.

Sie hat Virginia Woolfs 1928 erschienenem gleichnamigen Roman fürs Figurentheater adaptiert, eine literarische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, bei der die Helden im Laufe einer im 16. Jahrhundert beginnenden, 400 Jahre langen Zeitreise vom Mann zur Frau mutieren.

Wie fühlt sich Leben an?, lautet die zentrale Frage der gut besuchten Aufführung im Fitz, die am Donnerstag Premiere hatte. Der Abend gefällt vor allem deshalb, weil er Virginia Woolfs feine Ironie gut trifft. Und auch wegen der Harmonie, die Regisseurin Jutta Schubert zwischen ihrer Textfassung, Klaus Rothers bildhafter Musik und Anne-Kathrin Klatts präzisem Spiel zu schaffen versteht.

Insbesondere das Gespür der Darstellerin, mit wohldosierter Komik auch im Groben das Verletzliche aufzuspüren, macht das Geschehen im Fitz zum Vergnügen. Da wird ein Berg rauer Armeedecken (Ausstattung: Stefanie Oberhoff) zum massigen Körper der betagten Königin Elizabeth I. - in einem letzten Furor von Liebessehnen verschlingt er den jungen Orlando. Doch der flüchtet sich ins Dichten, dilettiert mit Dramen, Prosa und Gedichten. Bis der Schriftsteller Nicholas Greene als Püppchen aus seinem Hosenlatz kriecht und ihn wegen seiner banalen Schreiberei verhöhnt.

Eindrucksvoll gelingt Klatt Orlandos Verwandlung in eine Frau: Unter der Gipsmaske auf dem nackten Körper verbirgt sich das neue Wesen. Seine ersten krampfhaft-staksigen Schritte lassen die feuchte Masse in dicken Tropfen zu Boden platschen. Als Frau wird Orlando in die hohlen Adelskreise im prüden England des 19. Jahrhunderts katapultiert - verfolgt von einem aus ihrem Busen quellenden Frosch. Unter dessen Haut verbirgt sich indes kein verwunschener Prinz, sondern lediglich ein nach der Wärme weiblichen Fleisches gierender seniler Herzog.

 

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