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Wir sehen, was wir sehen wollen

erschienen am 22.01.2018 von Brigitte Jänhnigen bei StZN

Wenn der Kühlschrank mit uns spricht und die Heizung über das Smartphone gesteuert wird, dann ist das im digitalisierten Zeitalter sehr real. Wenn aber Künstler auf der Bühne wie emotionslose Roboter agieren und künstliche Wesen zu lächeln beginnen, ist das Imagination, denn wir sehen nur, was wir sehen wollen. Mit ihrem Festivalbeitrag „Robot Dreams“ schreibt das Figurentheater Meinhardt & Krauss (Stuttgart) seine Arbeit im Zwischenbereich von Figurentheater, Film, Neuen Medien und zeitgenössischer Musik fort.

Zu forcierenden Beats und elektronisch erzeugten Naturgeräuschen erleben die Zuschauer in „Robot Dreams“ einen Prozess der Annäherung von Mensch und künstlichem Wesen. Dauerhaft beharren zwei Tänzerinnen und ein Tänzer vor dem Mikrofon darauf, keine Roboter zu sein, um anschließend immer bizarrere Bewegungsabläufe zu zeigen. Mit ihnen agiert auf der Bühne, auf einer mobilen Plattform befestigt, ein körperloser Robotkopf. Die Manipulation des Publikums ist perfekt: Wenn der Robot seinen Kopf neigt, seine Augen öffnet und mit den Wimpern klimpert, wirkt es so menschlich, wie es künstlich erzeugt ist.

Ins Spiel kommen auch sogenannte „animatronische Körperteile“ wie Flügel und Schlange (Robotikbau und Szenografie: Michael Krauss). An den Leibern der Künstler befestigt, bewegen sie sich, durch menschlichen Geist programmiert und gesteuert, wie lebende Gliedmaßen, verschmelzen letztlich mit den Tänzern zu Zwitterwesen. Das Publikum ist fasziniert. Und es reagiert gerührt, wenn es dem Robotkopf im Finale des Stückes beim Einschlafen zusehen darf.

Nicht Belebtes als lebendig wahrzunehmen macht das Genre des Figurentheaters aus. Die Künstler animieren Puppen und Material so überzeugend, dass das Publikum der Imagination erliegt. Das gelingt mit komplett analogen Mitteln am Wochenende auch bei einer Reise ins Spanien der Franco-Diktatur. Nur fünf Menschen passen am Aufführungsort Atelier an den runden Tisch von Xavier Bobés. Handys, die bei anderen Aufführungen von ihren Besitzern schon mal unerlaubt betätigt worden sind, bleiben vor der Tür.

Mit elegantem Schwung öffnet der Katalane diverse Blechschachteln. Wie ein Magier wirft er Fotos, Münzen und Militärpässe in die Mitte des Tisches, fächert Taschenkalender unterschiedlicher Jahre wie Spielkarten auf – die Rückseite zeigt das Bauwerk Sagrada Familia in seiner jeweiligen Unvollendetheit. Es sind „Cosas que se olvidan fácilmente“ – Dinge, die man leicht vergisst“, die der Objektkünstler zum Titel seiner Produktion gemacht hat, nachdem er auf dem Flohmarkt ein Notizbuch aus dem Jahr 1942 fand.

Xavier Bobés lädt im Kellerdunkel seiner Tischbühne mit Konfetti, Sherry und Tanzmusik von Vinylplatten zur Party in der beginnenden Wohlstandsära nach den freien Wahlen 1977 ein. Leichthändig und intelligent erweckt er Vergangenes zum Leben. Bobés braucht dafür keine Sprache, so wie auch andere Festivalteilnehmer eher nonverbal agieren, um von einem internationalen Publikum verstanden zu werden. Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch: Die Muttersprachen des Publikums schwirren auch im Foyer des Theaters Junges Ensemble Stuttgart (Jes) durcheinander, wenn sich Zuschauer zur Aufführung von „Les Insomnies – die Schlaflosigkeiten“ drängeln. Stichwortgeber der Produktion (die Texte sind ins Deutsche übertragen) ist der französische Surrealist René Char (1907–1988). Sein Gedicht „Légèreté de la terre – Leichtigkeit der Erde“ dient den Künstlern des Ensembles La main d’œuvres aus Frankreich für eine Zurschaustellung, wie Menschen weltweit in Schlaflosigkeit getrieben werden.

Rastlos beturnt Sébastian Dault einen Kühlschrank, wechselt unruhig eine per Seilzug hinauf- und heruntergezogene Liege, während Olivier Sellier das Unbehaustsein des Menschen als Ursache beschwört. In der Rolle des Poeten zitiert der Künstler René Char: „Wir fallen. Ich schreibe euch im Fallen. So empfinde ich das Auf-der-Welt-Sein. Die Liebe, dieser wunderwirkende Halt, ist zerbrochen.“

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