Der Auftakt der Imaginale 2020 im Stuttgarter Fitz zeigt, wie mitreißendes Figurentheater geht.
erschienen am 04.02.2020 von Brigitte Jähnigen bei StZN
Wenn das Unsagbare in tragikomische Bilder gefasst ist, der Traum vom Fliegen mit Genuss scheitert und die Dunkelheit den Kindern keine Angst mehr macht, dann darf man den Auftakt der Imaginale 2020 in Stuttgart einen uneingeschränkten Erfolg nennen. So hat das begeisterte Publikum schon gleich zu Beginn des Internationalen Theaterfestivals animierter Formen erlebt, wie berührend und mitreißend das Figurentheater in seiner zeitlichen und inhaltlichen Dichte sein kann.
Eingeladen ins Stuttgarter Zentrum für Figurentheater (Fitz) waren diesmal schon die Allerjüngsten: Das belgische Ensemble „Theater de Spiegel“ entführt sie mit der Produktion „Nocturama“ in die Nacht. Atemlose Stille dominiert den fastdunklen Bühnenraum. In dämmerigen Kästen wohnen Kuscheltiere. Stijn Saveniers spielt Cello, Peter Mercks Klarinette. Johan Dils flüstert, raunt und zirpt in mehreren Sprachen lyrische Verse. Eule, Faultier und Giraffe erwachen zum Leben und tanzen.
Fasziniert schauen, hören und staunen die Kinder im Krabbelalter auf die magische, verträumt und beruhigend wirkende Welt. „Nocturama“ ist ein mutiger und höchst gelungener Versuch, Kindern die allseits bekannte Angst vor der Dunkelheit zu nehmen.
Die Zauberkraft der Musik spielt auch eine wichtige Rolle im Leben dreier Schwestern in der Inszenierung von „The House by the Lake“ von Yael Rasooly & Yaara Goldring aus Israel. Immer wieder fantasieren die Mädchen, in ihrem Versteck auf dem Dachboden ein Triokonzert von Franz Schubert zu üben, in selbst gestellten Lektionen Vokabeln zu trainieren, sich mit ihren Puppen mit dem Spiel „Die Reise nach Jerusalem“ abzulenken. Doch die Erinnerung an ihre bürgerliche Welt wird stets durch kollektives Marschieren Stiefel tragender Menschen zerstampft. Draußen die Realität, drinnen der Versuch, ohne die Eltern zu überleben.
„The House by the Lake“ ist eine exemplarische Geschichte dreier jüdischer Kinder in der Mitte Europas während der Nazizeit. Ein Experiment der Enkelgeneration von Shoah-Überlebenden, dem es gelingt, Unsagbares mit einer kabarettistischen Nummern-Show in tragikomischen Bildern zu fassen. Yael Rasooly, Edna Blilious und Rinat Sterenberg sind großartige Komikerinnen. Sie verwandeln ihre Figuren in Kaukautzky-Puppen, werden durch diese kopflosen Wesen zu obskuren Mischlingen aus Mensch und Puppe. Und ständig kippt die Stimmung zwischen heiter und angstvoll bis zum bitteren Finale.
Aus Frankreich hat die Truppe „L’ insolite mécanique“ dem Festivalpublikum im Landesmuseum Württemberg eine Welt graziler mechanischer Skulpturen mitgebracht. Belebt durch Erzählungen der Figurenbauerin und Spielerin Magali Rousseau und die Live-Musik von Stéphane Diskus, setzen sich die geflügelten und vierfüßigen Figuren mit Spindelarmen und Ameisenaugen in drehende, torkelnde und gleitende Bewegung. Mit Pilotenbrille auf den Augen, dirigiert Magali Rousseau einen subtilen, der Erdanziehungskraft des Globus geschuldeten Schöpfungsakt.