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Zimmer ohne Aussicht

Faszinierendes Spiel zwischen Realität und Virtualität: „R.O.O.M - Re. Organisation. Of. Material

erschienen am 1349395200 von Petra Bail bei Esslinger Zeitung

Stuttgart - Sie ist eine Zeitreisende, sagt sie, und beobachtet seltsame Dinge. Der Raum, in dem sie sich befindet, ist kein Zimmer. Zwei Leinwände im rechten Winkel zueinander aufgestellt, deuten eine kleine Stube an. Ein Tisch und ein Stuhl stehen darin, sonst nichts. Und doch scheint dieser merkwürdige Ort ein Eigenleben zu entwickeln. Fenster werden auf Wände, die keine sind, so plastisch projiziert, als ob sie ins Mauerwerk eingelassen sind. Die Fensterflügel schlagen, wie von Geisterhand bewegt. Die Frau steht vom Stuhl auf und schließt die „Fenster". So beginnt die jüngste Produktion des Stuttgarter Ensembles Meinhardt & Krause im Figurentheater (Fitz) unterm Tagblattturm-Areal.

Die Figurenspielerin Iris Meinhardt, die Videokünstler Oliver Feigl und Michael Krauss (Regie) sowie der Musiker Thorsten Meinhardt haben mit „R.O.O.M" die Grenzen zwischen Figuren- und Schauspiel, Film, neue Medien und experimenteller Musik aufgelöst. Die einzelnen Genres vermischen sich zu einem speziellen Theatererlebnis, das von seiner surrealen Ausdruckskraft lebt: 60 Minuten Staunen sind angesagt über fantastische Ideen und ihre technische Umsetzung. Ein bisschen gespenstisch wirkt das schon, wenn plötzlich Türen und Mauerwerk an Stellen auftauchen, an denen sich vorher nichts befand, wenn sich ein weißer Lichtstrahl aus einem umgekippten Glas wie Milch über den Tisch ergießt, am Tischtuch hinunterrinnt und auf eine kleine androgyne Figur fließt, die den virtuellen Strom in possierlichen Bewegungen gierig aufschleckt.

Aber es ist auch sehr poetisch, wenn es unvermittelt zu sphärischen Klängen in dichten kugeligen Lichtflecken zu schneien beginnt. Es schneit so lange, bis sich auf dem Boden des Zimmers eine geschlossene Schneedecke bildet und die Frau sich unter knirschenden Geräuschen in geschmeidigen Schritten durcharbeitet. Dieses fließende Ineinandergreifen von Realität und Fiktion, von Bild­projektionen, Geräuschen und Musik zieht den Zuschauer hinein in das leere Zimmer „ohne Aussicht und ohne Ausgang", in dem die Frau sich wundert, dass sie alles berühren kann. Sie zerknittert raschelnd einen Brief mit den Händen, und die Wän­de des Raumes samt Fenster knittern optisch genau so, als wären sie aus Papier. Ein Waschbecken wird perspektivisch so geschickt auf die Wand projiziert, dass es plastisch wirkt. Die Frau taucht mit dem Kopf in eine Wasserfläche, die sich optisch auf dem Tisch spiegelt; das Plätschern aus dem Off trägt dazu bei, die real nicht vorhandene Räumlichkeit vor den Augen der Zuschauer entstehen zu lassen.

Eine konkrete Handlung hingegen gibt es in dem Stück nicht. Es sind vielmehr die im hörenden Betrachter evozierten Bilder von Wäldern, Wasser und Wolken, die ihn bereitwillig die überraschende Expedition der Frau durch Raum und Zeit begleiten lassen.

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