erschienen am 19.09.2023 von Christian Bollow
Fünf Premieren im Kinder- und Abendprogramm machen den Herbst 2023 zu einem Theaterlabor der Gegenwart: Wie halten wir es mit einer künstlichen Intelligenz, die uns so verwirrend ähnlich wird? Feindschaft und Abgrenzung haben Konjunktur: Wie lernen wir zu kooperieren? Die vertrauten Strukturen wanken – birgt das auch Chancen? Wie gelingt es, in einer neuen Heimat Wurzeln zu schlagen? Und wer legt eigentlich die Tischordnung einer Gesellschaft fest?
Wir schaffen es zusammen oder wir schaffen es nicht. So selbstverständlich dieser Satz für die aktuellen ökologischen, sozialen und politischen Problemstellungen zu sein scheint, so schwer scheint er in die Köpfe zu kommen. Unsere Eröffnungspremiere für Kinder ab 6 Jahren "überALL unterALL“ vom Figurentheater Wilde&Vogel geht mit Witz, viel Musik und Spiellust der Frage nach, wie und wo Kooperation gelingt. Das Leipziger Duo wird verstärkt durch den vielfach preisgekrönten Weltklassedrummer Philipp Scholz.
Ist der Tisch ein Fluch oder ein Segen? Das Stuttgarter Ensemble Materialtheater, Meister hintersinniger Unterhaltung und politischen Volkstheaters, präsentiert mit »Ich liebe Tisch« einen weitausholenden Wirbelsturm von Geschichten, Anekdoten, Gedanken und Assoziationen um ein zentrales Möbel unserer Zivilisation. Gemeinsam mit dem Berliner Duo Kaufmann & Co sorgen Sigrun Kilger und Annette Scheibler dafür, dass nicht nur Tafelfreunde endlich verstehen werden, worum es sich beim Tisch wirklich handelt. Die exquisite Tischmusik wurde komponiert von Daniel Kartmann.
Wer seine Heimat verlässt, dem folgt sie in die Fremde. Die ungarische Bewegungskünstlerin und Figurenspielerin Helga Lázár findet betörende Bilder für diesen Schwebezustand zwischen Abschied und Ankommen. Mit Seilen, Karabinern und Flaschenzügen visualisiert sie ihre persönlichen Erfahrungen und die transgenerationalen Muster, die dahinterstehen.
Seit November 2022 hat sich die Welt verändert. Künstliche Intelligenzen wie Chat GPT brillieren nicht mit unmenschlicher Übermacht, sondern bestechen mit Ähnlichkeit. Das ›Uncanny valley‹, die beunruhigende Ahnung der Ununterscheidbarkeit, stört Lehrinstitute und Berufswelten auf. Die Stuttgarter Formation Meinhardt&Krauss verfolgt seit zwei Jahrzehnten die theatralen Möglichkeiten des Hightech. Ihre neue Inszenierung »Replik A« öffnet mit Robotik und elaborierter Programmierung den Blick auf Reize und Gefahren solch unbelebter Doppelgängerschaft.
Der figurale Zugriff auf den eigenen Körper im modernen Tanz schafft seit jeher organische Überschneidungsflächen zum Figurentheater. Im Rahmen der Reihe FTTS zu Gast im FITZ präsentiert die israelische Tänzerin und Choreographin Smadar Goshen ihr neues Werk »Ken | כן«. Im Fokus der abendfüllenden Soloproduktion steht die Frage nach der kreativen Kraft des Chaos. Brauchen wir das Chaos, damit Neues entsteht? Der Titel gibt Antwort: »Ken« = »Ja«.
Seit Beginn des Jahres bietet das FITZ sein solidarisches Preisprofil an. Zuschauer*innen haben die freie Wahl zwischen Eintrittspreisen von 5,-, 10,-, 15,- und 20,- Euro. Die Einnahmen sind stabil geblieben. Es lohnt sich, die freie Wahl zu lassen.