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Aus Freude am eigensinnigen Material

In einer Serie stellen wir drei Generationen herausragender Figurenspieler vor. Teil zwei: Antje Töpfer.

erschienen am 04.01.2017 von Brigitte Jähnigen bei StZ/StN

Stuttgart ist eine Hochburg des Figurentheaters. Außer in Berlin kann man bundesweit nur noch hier an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst den Beruf des Puppenspielers im akademischen Studium erlernen. Welche Vielfalt von Formen es in dieser Welt gibt, erzählen in unserer Serie drei Generationen von Figurenspielern. Heute: Antje Töpfer (38).

Als Antje Töpfer aus Kyoto zurück nach Stuttgart kam, war sie geschockt. „Alles so laut hier, so auf den Einzelnen gerichtet“, dachte sie. Drei Monate lang hatte die Figurenspielerin auf Einladung des Goethe-Institutes in der Villa Kamogawa gelebt und gearbeitet. „Die Kondensierung von Kunstfertigkeiten ist in Japan extrem groß“, sagt die 38-Jährige. Über die Jahrhunderte sei auch im Figurenspiel die Essenz gesucht und perfektioniert worden. „Ein japanischer Puppenspieler lernt zum Beispiel zehn Jahre lang, wie man die Füße einer Figur führt, wenn er traditionelle Theaterformen wie Bunraku studiert“, sagt Antje Töpfer. Angeregt durch ihren Aufenthalt in Kyoto produzierte die Absolventin des Stuttgarter Figurentheater-Studiengangs in den kommenden Monaten das Stück „3 Akte – Das stumme Lied vom Eigensinn“. Gegenstand der Experimente ist nicht nur die Auseinandersetzung mit dem persönlichen Eigensinn, sondern auch mit dem Eigensinn von Material, in diesem Fall Papier.

Wie mithilfe der Origami-Technik Skulpturen geformt werden, hatte Antje Töpfer in Japan gelernt. Wie sie ihre zauberhaft sinnlichen Kreationen auf der Bühne des Figurentheaters Stuttgart (Fitz) zum Atmen brachte, faszinierte das Publikum. Antje Töpfer musste für diese Produktion das richtige Material finden, leicht, faltbar, reißfest. „Washi, das traditionelle japanische Papier gibt es bei uns nicht in der Breite, und es hält auch nicht ewig, ich musste ein Spezialpapier finden“, so die Wahl-Stuttgarterin. Für ihr Stück „3 Akte“ hat Antje Töpfer den Tanz- und Theaterpreis der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg 2017 bekommen.

Papier wird auch das Material der Wahl in der nächsten Produktion sein. „Faltungen“, so der Titel, wird sie wie „3 Akte“ mit der Choreografin Katja F. M. Wolf erarbeiten. „Sie kann sehr gut mit Menschen umgehen, die keine Tänzer sind“, sagt Antje Töpfer über den Dialog. Das Wechselspiel zwischen Material und Körper, das Kreieren von szenischen Bildern hat die gebürtige Chemnitzerin früh interessiert. „Ich wusste nach dem Abitur nur nicht, ob ich mich an einer Kunstakademie oder einer Hochschule für Theaterkunst bewerben sollte“, sagt Antje Töpfer. Ein Lehrer schließlich machte sie auf den Studiengang Figurentheater aufmerksam. Dass sie der Stuttgarter Ausbildung der in Berlin den Vorrang gab, hatte Gründe: „Den Studiengang in Berlin fand ich sehr verschult, hier konnte ich früh frei und trotzdem akademisch studieren“, sagt die Absolventin aus dem Jahr 2003.

Die Achse Stuttgart-Berlin hat sich dann doch gebildet – gemeinsam mit dem Figurenspieler Florian Feisel erarbeitete sie 2007 im Auftrag des Stuttgarter Balletts das Stück „Cranko Reflexions“ und ein Jahr zuvor die Produktion „Pandora frequenz“, die im Fitz und an der Berliner Schaubude aufgeführt wurde. In den Stuttgarter Wagenhallen hat Antje Töpfer ihre Werkstätten, von dort aus führten sie ihre Installationen, Performances und Inszenierungen in die Welt: zu Festivals und Aufführungen in Mexiko, Pakistan, Südafrika, Litauen.

Ein Figurenspieler wie Antje Töpfer eröffnet seinem Publikum durch seine Puppen, Figuren und den Verwandlungen von Material in verdichteter Form ganz eigene Welten, gleich, ob dazu eine Guckkastenbühne, das Schachteltheater oder ein schwarzer Raum genutzt werden. „...das Glückes Unterpfand, Isolation von Ulrike Meinhof“ war eine der ersten großen Produktionen, die Antje Töpfer für die Bühne des Fitz kreiert hat. Ein experimentelles, intimes, sehr körperliches Spiel mit Stimmen, für das die Künstlerin von der Stadt Stuttgart keine Förderung bekam. Um das Thema trotzdem umsetzen zu können, hat sie hart gejobbt. „Ein so sperriges Thema lässt sich wohl nicht so gut verkaufen“, meint Antje Töpfer.

Inzwischen stellt sie nur noch Produktionen auf die Beine, die vorher finanziert sind. Immer wieder sei es „ein Förderkarussell“ von Stadt, Land, Bund und dem Fitz, wofür alle freien Künstler in dieser Stadt viel Energie ließen. Antje Töpfers Arbeit ist, bezogen auf die Inszenierungen, äußerst vielfältig. Die Faszination ihrer Werke liegt am ehesten im Minimalismus, im Purismus, mit dem sie ihre Performances, Installationen, multimedialen Projekte und Materialauseinandersetzungen vorantreibt.

Porträt Frank Soehnle

Porträt Jan Jedenak

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