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Dada mit Stacheln

erschienen am 01.08.2021 von Brigitte Jähnigen bei StZN

Was wirkt stärker ? Gut zu sein oder böse? In einer Neufassung des Vor-Dada-Stückes „König Ubu“ von Alfred Jarry treiben Sigrun Kilger und Annette Scheibler in einer Inszenierung des Ensembles Materialtheater und des Théâtre Octobre Brüssel die Frage wortwörtlich auf die Spitze. Genauer: Auf die Stacheln unzähliger Kakteen. Denn für das absurd-komische Spiel über niedrige Instinkte, Habgier und Machtmissbrauch schicken sie zur Premiere am Donnerstagabend Kakteen aus ihrer Figurenwerkstatt ins rasant gespielte Vergnügen.

Als Bühne auf der Bühne dient ein großer, mobiler Rahmen. Erzählt wird der klassische Fall eines Königsmordes. Doch der Nachfolger Vater Ubu, angestachelt durch seine Gattin Mutter Ubu, erweist sich als Diktator im Reich der Kakteen. In einer aberwitzigen Szene bauchpinseln Günstlinge den Usurpator, im Gegenzug schreddert er die Richter. Zu synkopischen Rhythmen und rockigen Gitarrenriffs (Musik: Andreas und Daniel Kartmann) galoppiert Ubus stacheliges Heer gen Russland.

Menschen werden als Gurke geboren

Immer aufs Neue fasziniert der Ideenreichtum der Figurenbauerinnen. König Ubu ist ein dickbäuchiger Kaktus, seine Gattin eine kaktusnasige Stange. Der Zar ist ein glänzender Stiefel mit farbiger Bordüre und einem Fellwuschel auf dem Kopf. Unzählige Handschuhe agieren als Figuren oder als Sprechwerkzeuge.

Ganz leicht und nicht moralisierend wird erzählt. Lustvoll debattieren die beiden Spielerinnen die Frage, ob jemand als Kaktus oder Gurke geboren wird. Fazit: Menschen werden als Gurke geboren, weil sonst die Geburt zu schwierig wäre. Die Verknüpfung von klassischem Sujet mit aktuellen Bezügen gelingt inhaltlich nicht immer schlüssig, passt aber in den absurden Kontext des von Regisseur Alberto García Sánchez geführten Klassikers. Denn letztlich enden alle guten Absichten in neuen Bosheitsfantasien. Das Premierenpublikum ist begeistert.

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