Menü

Eleganter Seitensprung

Faszinierendes Theatererlebnis: „Als ES über uns kam" von Meinhardt Krauss Feigl im Stuttgarter Fitz

erschienen am 07.10.2015 von Petra Bail bei Esslinger Zeitung

„Gibt es Leichen im Keller?" fragt die Frau. „Ein, zwei", antwortet der Mann. Es ist Wohnungsbesichtigung, und da geht es ans Eingemachte: die Örtlichkeit wird auf Herz und Nieren geprüft, das Seelenleben der Aspiranten durchleuchtet. Der Raum ist transparent: freier Blick ins Innenleben - auch in das der beiden Spieler Iris Meinhardt und Robert Atzlinger im neuesten Stück von Iris Meinhardt, Michael Krauss und Oliver Feigl, die sich cinematographic theatre nennen. „Als ES über uns kam" ist der verwirrend schöne dritte Teil des Katalogs „der großen Kränkungen der Menschheit". Er wurde jetzt im Fitz uraufgeführt.

Freud lässt grüßen

Zwei transparente Gazeleinwände sind im rechten Winkel zueinander aufgestellt, bilden mit den festen Rückwänden einen Raum. Fenster und Türen werden darauf projiziert, später das ganze Lebensdesaster, das immer so auf Kreaturen einstürmt: Feuer, Wasser, behäbig schwimmende Riesengoldfische, beängstigende Wälder und Elefanten. Drinnen ringt das Paar mal mit sich, mal um Fassung und wird mit dem eigenen Schatten konfrontiert. Nur - wo kommt der her? Und was hat das nun mit Kränkung zu tun? Es geht um die großen Kränkungen der Menschheit nach Sigmund Freud, mit denen sich das Ensemble in vier Produktionen beschäftigt.

Das muss man ja alles verkraften. Erstens: Die Welt ist nicht das Zentrum des Universums. Zweitens: Der Mensch stammt vom Affen ab, und nun auch noch die Theorie, dass das Unterbewusstsein eine Entscheidung blitzschnell trifft, noch ehe wir bewusst entscheiden. Also nix mit freiem Willen. In Anlehnung an Freuds Drei-Instanzenmodell der Psyche („Es"-„Ich"- „Uber-Ich") heißt das Stück „Als ES über uns kam".

Das erscheint hier plausibel, muss man aber nicht wissen. Auch losgelöst vom psychologischen Überbau kann man diese multimediale Mischung aus Performance, Bildprojektion, Geräuschen, Musik, Klang, herrlichen Textschnipseln und Fiktion einfach auf sich wirken lassen. Der Geist ist beschäftigt, die vielfältigen Sinneseindrücke in komprimierten 60 Minuten aufzunehmen, mit der Verarbeitung ist man noch stundenlang beschäftigt. Immer wieder tauchen bizarre Szenen vor dem geistigen Auge auf. Sie lassen den Betrachter nicht los. Ähnlich wie bei einem guten Vexierbild tüftelt man an der versteckten Wahrheit lange herum.

Dabei ist das alles nicht so streng, wie es klingt. Was sich da auf der Bühne abspielt, ist schwer mit dürren Worten zu beschreiben. Das muss man erleben. Es gibt viele komische Momente, in denen das Publikum zum Lachen gebracht wird. Etwa wenn Mann und Frau aneinandergeraten, die Triebe des „Es" vom Widersacher, dem strengen „Über-Ich", bewertet werden. „Lass uns zusammen fremdgehen", fordert sie den Mann in tänzerischer Leichtigkeit auf, macht ein paar niedliche kleine Seitensprünge und hüpft elegant nach rechts - uups, „ein Fehltritt".

Die Figurenspielerin Iris Meinhardt, Schauspieler Robert Atzlinger, Videokünstler Oliver Feigl und Michael Krauss (Regie) sowie der Musiker Thorsten Meinhardt lassen die Grenzen zwischen Figuren- und Schauspiel, Video und synthetischer Musik elegant verschwimmen. Die einzelnen Genres vermischen sich zu einem grandiosen, rätselhaften Theatererlebnis. Glas zerspringt, wo gar keines ist. Die Flammen lodern zum Table Dance von Amnesia, Narzissa und Neurosa im „Burning House". Schneeflocken fallen so sachte aus dem Nichts, dass man sofort an „Sterntaler" denkt, „Rotkäppchen" irrlichterte davor schon durch den Wald: ein Hoch auf die Fantasie.

„Mach was Spannendes!"

Zurücklehnen und konsumieren geht nicht bei Meinhardt, Krauss und Feigl. Dazu sind die ästhetischen Bilderrätsel im Gaze-Kokon viel zu spannend. Gesellschaftliche Verhaltensweisen, Ödipuskomplex, Urängste, Konflikte - alles ist drin. „Mach was Spannendes. Stülp dir dein Inneres nach außen. Kotze dir die Seele aus dem Leib!", fordert sie den Mann auf. Das Publikum will schließlich Emotionen sehen, will berührt werden. Das hat hier geklappt. „Das Scheitern dieses Theaterabends" muss keinen Namen tragen. Ein voller Erfolg und viel Beifall vom Premierenpublikum.

Betrifft: