erschienen am 07.09.2025 von Steffen Georgi bei LVZ
Leipzig. Gemessen an der ja eher kammerspielhaften Kunstform „Figurentheater" ist es die ganze große Oper mit der jetzt der Westflügel aufwartet. Am Samstag hatte dort „Farm der Tiere" Premiere. Eine Inszenierung, die George Orwells berühmte Totalitarismus-Parabel in Fabelform als Grusical-Musical auf die Bühne kantet, als garstiges Singpuppenspiel in Szene setzt – und so einem ja durchaus wieder sehr gegenwärtigen Alptraum eine erstaunlich passende künstlerische Form gibt.
Allzu leicht darf man es dem Publikum damit freilich nicht machen. Schon deshalb nicht, weil es ein Verrat am Sujet wäre. Knapp drei Stunden (Pause inklusive) dauert „Farm der Tiere" im Westflügel. Eine durchaus anspruchsvolle Länge. Die sich indes nicht nur den vielen Liedern (Coverversionen und Eigenkompositionen) schuldet, die zum Besten gegeben werden, sondern auch dem künstlerischen Zugriff, den man riskiert hat.
Denn mehr als einem „fertigen" Stück wohnt man hier dem Prozess der Verfertigung des Stückes bei. Natürlich folgt dieser Prozess einem klar vorgezeichneten Weg, natürlich wissen alle auf der Bühne, was sie dort wann und wie zu tun haben. Aber das Entscheidende an dieser unter der Regie von Michael Vogel geschaffenen Inszenierung, sind die Freiheiten, die sie sich nimmt, die Improvisationen, die sie wagt. Das Ungehobelte, auch Anarchische, das ihr eigen ist.
Orwell schrieb „Farm der Tiere" von November 1943 bis Februar 1944. Der Zweite Weltkrieg tobte und ausgerechnet die stalinistische Sowjetunion gehörte zum unverzichtbaren Verbündeten Großbritanniens und der USA im Kampf gegen Hitler-Deutschland. Ein Umstand, von dem sich Orwell den klaren Blick auf das kommunistische Regime nicht trüben ließ. „Farm der Tiere" zeichnet den Weg der Russischen Revolution in den Totalitarismus nach. In Form einer Fabel, in der die Tiere eines Bauernhofs erst ihren menschlichen Schinder vertreiben, nur um dann selbst den menschlichen Gepflogenheiten gegenseitigen Schindens zu frönen. Denn: „Alle Tiere sind gleich aber manche sind gleicher."
Gleicher als nur gleich sind bei Orwell die Schweine und am allergleichsten von denen ist Keiler Napoleon. Brutal und durchtrieben wie sein menschliches Vorbild (Stalin) ist der schweinische Obergenosse nicht nur seinen Artgenossen überlegen. Sicher: Dass Napoleon bald allen Tieren des Bauernhofes der „große Führer" ist, liegt auch an den Tieren selbst. An ihrer Dummheit, ihrer Ängstlichkeit, ihrem Opportunismus. Kurz: An ihren menschlichen Eigenschaften.
Folgerichtig, dass da im Westflügel zu Stückbeginn erst einmal nur Menschen auf der Bühne zu sehen sind. Zehn an der Zahl sind es, die da um einen riesigen Tisch sitzen. Puppenbauerin Mechtild Nienaber und Regisseur Vogel inklusive. Der nun liest der versammelten Truppe aus Orwells Buch vor. Und setzt damit die Metamorphose, das Spiel in Gang: Tierfigürchen verschiedenster Materialien erscheinen auf der Tischplatte. Einem Darsteller wächst ein imposanter Ringelschwanz am Kopf. Allenthalben machen sich Hufe, Eselsohren, Schweinsmasken, glotzende Schafsgesichter, monströse Pferdegebisse breit. Verwandeln die Menschen in Tiere und die Bühne (der der Regisseur längst entfloh) in ein magisches Refugium.
Und das, obwohl doch dieses In-Gang-setzen, also alle Verkleidungen und Umbauten ganz offenkundig und unmittelbar vorgeführt werden. In Schwerstarbeit wird da etwa eine Bockleiter auf den Tisch und auf die Bockleiter eine Windmühle gewuchtet. Ein Rad wird in Bewegung gesetzt, Ketten klirren schrill in bestem Einvernehmen mit einer infernalisch aufbrausenden Musik. Und unterm Tisch kriechen die Tiere, um sklavisch die ganze Vorrichtung im Kreis zu drehen. Im Namen der rosaroten Schweinewelt-Zukunft, die final einen wahrlich böse obszönen Sieges-Cancan tanzen wird.
Es ist eine beeindruckende kollektive Viecherei, was hier darstellerisch von Samira und Stefan Wenzel, Florian Feisel und Alexandra Gosławska gestemmt wird. Musikalisch kongenial von Charlotte Wilde, Johannes Frisch, Aline Patschke und Philipp Scholz vorangetrieben, ist die Inszenierung nicht frei von Sperrigkeit, Dissonanzen, Wiederholungen – nur gehört genau das zu ihren Qualitäten. Denn eben nichts wäre hier falscher als inszenatorische Glätte, als eine zum konventionell kommensurablen hingebogene Erzählhaltung. Der begeisterte Premierenapplaus ist somit auch einer für die künstlerische Konsequenz, die sich diese aufwendige Produktion allen damit verknüpften Risiken zum Trotz bewahrt hat.
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