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„Täterinnen sind oft auch Opfer“

Die Stuttgarter Choreografin Eva Baumann behandelt in „Schattenkind“ mütterliche Gewalt.

erschienen am 20.05.2021 von Andrea Kachelrieß bei

Ein Kammerstück über mütterliche Gewalt nennt Eva Baumann ihre neue Produktion „Schattenkind“. Das Stück ist ein Duett mit einer lebensgroßen Puppe und feiert nun Premiere online.

Frau Baumann, familiäre Gewalt ist in der Coronakrise ein aktuelles Thema. Statt prügelnder Männer interessiert Sie in Ihrem neuen Tanzstück ein anderer Aspekt ...

Denkt man bei häuslicher Gewalt nur an Partnerschaftskonflikte, ist das statistisch gesehen richtig. Mir geht es aber um das Thema Kindesmisshandlung, und da zeigte die Kriminalstatistik von 2019 einen Frauenanteil von 43,1 Prozent. Das müsste zu denken geben. Ich vermute, dass männliche Gewalt sich anders äußert und anders motiviert ist als weibliche Gewalt, die vielfach aus Überforderung entsteht.

„Schattenkind“ heißt Ihr Stück. Wählt es die Opferperspektive?

Den Stücktitel entlehne ich als Begriff aus einem Buch der Psychologin Stefanie Stahl; Schattenkind steht da für innere negative Glaubenssätze. Sie sind verbunden mit traumatischen Ereignissen in der Kindheit und stellen uns als Erwachsene in zwischenmenschlichen Beziehungen vor Probleme. Meine Intention war es, sowohl die Mutter- als auch die Kindsperspektive einzunehmen. Täterinnen sind oftmals auch Opfer, die gefangen sind in ihrem Trauma.

Sie tanzen mit einer lebensgroßen Gliederpuppe – wie ist die Rollenverteilung?

Im Zusammenspiel mit dem Objekt Puppe scheinen die Rollen von Anfang an klar verteilt zu sein – die aktive Mutter und das passive Kind. Doch mein Duett mit der Puppe lässt die Grenzen von Identität verschwimmen. So wird aus der Puppe eine als Mutter agierende Spielerin, die mich als Tänzerin manipuliert – und sei es nur durch einen Blick. Zugleich ist sie auch mein Alter Ego, das die Innenschau und Erinnerung in den Mittelpunkt stellt.

Wie setzen Sie mütterliche Gewalt in Tanz um, ohne zu sehr zu verstören?

Ein Ausgangspunkt ist die körperlich zugewandte Mutter-Kind-Beziehung. Das Kind signalisiert, was es braucht, und die Mutter reagiert darauf. An dieser Stelle setzt mein Stück an. Wo genau beginnt Gewalt? Der Grat zwischen „noch gesunder“ Körperlichkeit und Grenzüberschreitung ist sehr schmal, deshalb ist Gewalt von außen auch oft so schwer zu erkennen. Das Zusammenspiel aus Puppe und Mensch verdeutlicht dies und erlaubt vielfältigere Lesarten. Verstörung lässt sich nicht gänzlich vermeiden, wenn ich mich dem Thema ernsthaft widmen und auch etwas im Zuschauer bewirken möchte.

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