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Von allen Dingen mehr

erschienen am 18.10.2008 von GISELA HOYER bei Leipziger Volkszeitung

„Faust spielen" – Die zweite Westflügel-Produktion im Lindenfels nach den Bau-Monaten
„Faust spielen" heißt, nach dem Eröffnungsstück „Passion der Schafe" Anfang September, die zweite Neuproduktion des Westflügels im Lindenfels nach einem Jahr baubedingter Auszeit. Zur Premiere am Donnerstag wurden als Akteure Michael Vogel und Christoph Bochdansky sowie für die Live-Musik Charlotte Wilde mit Beifall überschüttet.

Alles beginnt mit dem Vorhang, natürlich. Dieser aber ist zwar aus rotem Samt und gehörig gerafft, aber sonst nur ein Zitat seiner selbst. Mühelos in Taillenhöhe gehalten, begleitet er die Ansage, es gehe hier heute also um „Fffausttt". Dem folgt im geheimnisvoll ausgeleuchteten, charmant unfertigen Lindenfels-Saal ein fantasiesprühendes Feuerwerk tragikomischer Einfälle, mittels derer das Figurentheater Wilde & Vogel im kreativen Bündnis mit dem Wiener Christoph Bochdansky den Goethe-Klassiker neu erzählt.
Es ist die alte Geschichte eines Menschen, der von allen Dingen eins will: mehr. Mehr Erkenntnis, mehr Leben, mehr Liebe, mehr Kraft. Mithin ewige Jugend. In der Lesart von Michael Vogel und Bochdansky, die sich für diese zweite Westflügel-Produktion nach ihrem „Sommernachtstraum – reorganisiert" und monatelanger Bauzeit jetzt zum zweiten Mal zusammengetan haben, ist die große Parabel auch ein großes Gemisch aus derbem Schalk, lüsternen Momenten, zärtlicher Beobachtung und spannend komponiertem Bildertheater. Das alles begleitet, eigenwillig und auf so merkwürdigem wie gewohntem Instrumentarium, Charlotte Wilde, die sich gut 70 Minuten später am späten Donnerstagabend Hand in Hand mit den beiden Kollegen zum Pfeifentrampelnjubeln verbeugt. (…)

Denn was Vogel und Bochdansky, zwei melancholisch gelenkige Kasper, da miteinander, mit wenigen Marionetten und einigem Ausstattungskrimskrams zaubern, macht einfach bloß Spaß. Ist umwerfend komisch und todtraurig, wobei die Augenblicke des Kippens wirklich kostbar sind. Etwa der finale Beischlaf zwischen Faust und Helena, der in diesem Falle so aussieht: Eine Marionette mit mitleiderregend hässlichem Greisenhaupt und ansonsten aus viel schwarzem Tuch schiebt in ächzenden Stößen eine Zinkschüssel über die Bühne, in der sich, mitsamt dünnem Wasserstrahl den Jungbrunnen symbolisierend, eine zentimetergroße, nackte weibliche Gipsfigur findet, wie sie manche Zeitgenossen zur Gartenzier benutzen. Erschöpft bricht Faust dann zusammen; in einer Plasteflasche gezeugt, meldet sich alsbald Homunkulus ins Dasein, um wie einst Adolf H. Welt-Veränderungs-Absicht zu äußern.
Nicht mal der Schluss ist optimistisch. Denn mit Faust, von dem nur ein wenig Staub blieb, löst sich in einer geplatzten Tüte auch die Hoffnung auf. Die ultimative Einsicht: Hölle ist überall. Eine große, wunderbare Geschichte – wunderbar als großes Theater inszeniert. Übrigens von Regisseurin Christiane Zanger, die in den Applaus des angeregt nachdenklichen Publikums eingeschlossen war.

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