Laura Oppenhäuser, Figurenspielerin und Performerin, Stuttgart
Wem wenn nicht mir
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
(Art. 14, Abs. 2 Grundgesetz)
Ist es möglich, materiellen Wohlstand mit Mitteln der Kunst umzuverteilen, konkrete Abgaben mit Reichen zu verhandeln? Welche Mischung aus Forderung, Schmeicheln, Verbrüderung, Mitleid, Verständnis (...) ist dabei zielführend? Wie ist das übersetzbar in Maskierung?
03.03.2021
1. Wie geht es deinem Projekt mit dir?
Nachdem ich beschlossen habe, den Zeitrahmen für die Recherche bis Ende April für mich auszuweiten, kommt eine angenehme Ruhe ins Arbeiten. Ich hatte ein erstes Treffen mit Nana Hülsewig (NAF), die mich in Kostümierungsfragen aber auch inhaltlich/dramaturgisch berät. Mit der Fotografin Dominique Brewing war ich in der Halbhöhenlage unterwegs, wo erste Bilder entstanden sind. Aktuelles Ziel:
- Ein sicheres, straightes Auftreten in der Halbhöhenlage perfektionieren und damit experimentieren, was es dazu braucht. Auch aber nicht notgedrungen gebunden ans äußere Erscheinungsbild
- Präzision meines inhaltlichen Regelwerks, als Grundlage für die Verhandlungen um Abgaben beim Hausieren in der Halbhöhenlage
Um mich dem anzunähern, konsumiere ich aggressiven Deutschrap und die Ruhe wohlsituierter Straßenzüge bei ausgedehnten Spaziergängen. Ich entwerfe Haute-Couture- tracksuits für Jugendliche auf der Flucht, feiere Fidel Castros Outfit beim Papstbesuch und übe Russenhocke auf Gartenmauern.
2. Was hat dich in den ersten vier Wochen am meisten überrascht?
Dass ich ernsthaft dachte, ich könnte mit der Entwicklung eines bildnerisch interessanten Auftritts die Lückenhaftigkeit in der Ausarbeitung meines Konzeptes kompensieren.
3. Kannst du etwas beschreiben/zeichnen/fotografieren, das du in zweite Hälfte deiner Residenz mitnehmen würdest? Warum gerade dieses?
Die knall-orangene Warn- und Tarnkäppi aus dem Jagdgeschäft, mit der Aufschrift „Waidmannsheil“. Weil es mich fasziniert, dass etwas, das für die Einen schrill leuchtet, für Andere von Natur aus unsichtbar bleibt. Erlegt werden am Ende Letztere, im Wald zumindest. Die Frage nach der richtigen Dosis von Aggression, Neugier und Verständnis.
17.03.2021
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Ausgehend von Art. 14 Absatz 2 des Grundgesetzes beschäftigt sich Laura Oppenhäuser mit der Frage, ob und wie es möglich ist, gut situierte Stuttgarter Bürger*innen mit Mitteln der Kunst dazu zu bringen, Teile ihres Wohlstands „der Allgemeinheit“ zur Verfügung zu stellen. Was wäre ihnen Motivation? Was hindert sie? Was ist Wohl und wer Allgemeinheit? Ab Oktober 2021 wird Laura Oppenhäuser an Türen klingeln und direkt mit Menschen in Verhandlung treten. Im Rahmen der Flausen-Residenz hat sie sich intensiver damit auseinander gesetzt, wie diese kurzen Auftritte aussehen sollten, in Bezug auf ihr äußeres Erscheinungsbild und mit dem Ziel, auf den ersten Blick ein größtmögliches Vertrauen und Offenheit beim fremden Gegenüber herzustellen.
Nach ersten Recherche und Entwürfen für ein wandelbares Kostüm rund um „tracksuit“ und „Hoodie“, als -Haute-Couture taugliche, verbindende Kleidungsstücke beispielhaft zusammengewürfelter Bedürftiger (Gangsterrapper, Roma, Geflüchtete, Robin Hood und Kleinkind), rückte in einem ersten Treffen mit Nana Hülsewig, Oppenhäusers beratender Mentorin, der Fokus wieder weg vom Visuellen, zurück zur Hinterfragung der konzeptuellen Grundlage. Sie beschlossen, das Spiel mit visueller Tarnung/Maskerade/Kostümierung für die spätere Bühnenperformance zurückzustellen und das Konzept selber zu der „Bekleidung“ zu machen, die Schutz bieten bzw. zum Angriff motivieren kann.
So arbeitete die Künstlerin an der Präzisierung der Dos und Don´ts, der Absichten und Grenzen, innerhalb derer die Verhandlungen stattfinden sollen. Sie experimentierte mit Outfits und Stimmlagen, in denen sie authentisch, überzeugend und selbstbewusst auftreten kann. Sie erwanderte gezielt bestimmte Stuttgarter Straßenzüge um sich zu Projektbeginn mit Anwohner*innen auf Augenhöhe zu fühlen. Sie sammelte Adressen für die geplanten Besuche und realisierte ein Fotoshooting im Klischee-Wohlstands-Stadtteil Killesberg. Es entstanden erste Bilder, auf der Suche nach einem passenden Weg im Umgang mit Aggression und Anziehung, Verständnis und Vorwurf gegenüber überdurchschnittlichem Wohlstand und der Fragestellung nach gesellschaftlicher Verantwortung.
Die Recherche diente als Vorarbeit für die Produktion „robbin´ Halbhöhe“, die im Januar 2022 im Theater Rampe in Stuttgart zur Premiere kommt.