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Die Besessenen

Eine Inszenierung des Figurentheater Paradox in Koproduktion. mit der Werkstattbühne Stuttgart und dem Fitz - FigurentheaterStuttgart

erschienen am 01.10.2004 von Helmut Pogerth bei unima figura 48

Auf der Bühne: Sackleinen, Ketten, Taue, ein großer Übersee-Reisekoffer, Transportkäfige - wir befinden uns an Bord eines Schiffes und begleiten den Reisenden Witold Gombrowicz. Er wurde seiner Heimat Polen verwiesen und befindet auf der Fahrt ins Exil. In seinem Gepäck führt er mit sich die Erinnerungen an eine bankrotte Vergangenheit. Und er beginnt zu erzählen von Totschlag, womöglich Mord ist die Rede, von Erbschleichern und Intrigen und von einem verborgenen Schatz, irgendwo versteckt im Schloss Myslocz, nahe dem Gut der Familie Ocholowski... «Angefangen hat alles im Zug nach Lublin» - gleich mittendrin sind wir in der Gedankenwelt eines Autors, der seine Story konzipiert. «Was fehlt noch?» Liebe, Geldgier, Macht ... Der Prozess des Geschichtenerfindens ist spannender als die Geschichte selbst.

Der Schriftsteller thematisiert seine Art und Weise zu arbeiten. Die von ihm erfundenen Figuren werden - mal als menschliche Darsteller, mal als Puppen - konkret. Sie beginnen zu leben und nehmen das Heft in die Hand. Sie selbst gestalten den Fortgang der Geschichte und handeln die Dinge untereinander aus. Sie geraten in Rage und wenden sich mitunter dann Hilfe suchend an den Autor, wenn ihnen die Dinge zu entgleiten drohen: «Darf der das?» Herrlich, diese rhetorische Frage an den von der Schreibmaschine verlegen aufblickenden Gombrowicz, wenn der Streit zwischen den Protagonisten Maja Ocholowska und Marian Leszczuk - ein Liebeshändel wie sich dann doch herausstellt - wieder einmal eskaliert.

Wie äußerte sich Gombrowicz über seine schriftstellerische Technik? Er empfiehlt, in die Sphäre des Traums einzutreten und die erste beste Geschichte zu schreiben, die dem Schreibenden in den Sinn kommt. «Zwanzig Seiten sind genug.» Dann gelte es herauszukristallisieren, was anreizend erscheine. Und dann alles noch einmal zu schreiben - auf der Grundlage dieser anreizenden Elemente. «Szenen, Gestalten, Begriffe, Bilder werden nach ihrer Vervollständigung verlangen und das, was du bereits geschaffen hast, wird dir den Rest diktieren.» Genau diesem Prozess schauen wir auf der Bühne zu.

«Die Besessenen» ist eine putzmuntere und aktionsreiche Inszenierung, die sich durch ein exaktes Timing auszeichnet. Ein Kriminalspektakel und eine Liebesgeschichte gleichzeitig, eine clevere Inszenierung, die sich sehr be-wusst der verschiedenen Ebenen des Spiels bedient, diese mühelos wechselt und dem Zuschauer gerade mit dieser grossen Leichtigkeit zu beträchtlichem Vergnügen verhilft.

Es gibt nicht allzu viele Regisseure/Regisseurinnen im Bereich des Figurentheaters, die die Möglichkeiten der Darstellung mit Theaterpuppen zu nutzen verstehen. Ulrike Kirsten Hanne ist eine von ihnen. Sie hatte bereits 2001 mit Annette Scheibler (Theater pepperMIND) zusammengearbeitet und mit «Morgen, mein Meister» eine überregional beachtete Arbeit geschaffen. Im Rückblick lässt sich sagen, dass die Zusammenarbeit damals sowohl für die Figurenspielerin wie auch für die Regisseurin irritierend war. Ulrike Kirsten Hanne ging zunächst in gewohnter Weise an die Sache heran, nahm sich gemeinsam mit dem Inszenierungsteam den Text vor. Es folgten Leseproben, Textanalysen, Sprechproben. Aber dann «meuterte» das Team: «Wir müssen jetzt erst einmal bauen, wir brauchen den gestalteten Raum, die Puppen und Objekte, damit wir in unserer Auseinandersetzung mit dem Text weiterkommen.» Und wirklich ging es genau so. Die Gestaltung des Bühnen- * raums setzte die Phantasie frei und mindestens so sehr dem Bild wie dem Text folgend entstand eine aufregende Inszenierung. So bitter es für die Regisseurin gewesen sein mag, zeitweise «kaltgestellt» worden zu sein, das Ergebnis war so überzeugend, dass das spartenübergreifende Arbeiten mit Figurenspielern (aber auch mit Tänzern, Musikern, Performern) für Ulrike Kirsten Hanne und die Werkstattbühne Stuttgart Programm geworden ist.

Eine besonders schöne Überraschung waren die Akteure. Neben Ulrike Kley (Studentin an der Stuttgarter Figurentheaterschule) und der Figurenspielerin Stephanie Rinke (die auch als Schauspielerin brillant ist, die sprechen kann und sich zu bewegen weiß) waren dies der Musiker und Schauspieler Jürgen Larys (in der Rolle des Gombrowicz) und der Schauspieler Uwe-Peter Spinner. Ausnahmslos alle hatten sie einen wunderbaren Zugang zum Spiel mit den Puppen. Sicherlich hat ein bisschen Nachhilfeunterricht in Sachen Animation und Puppenführung durch Stephanie Rinke geholfen. Aber allein ein solcher Crash-Kurs erklärt nicht das virtuose Spiel auch der Nicht-Puppenspieler. Hier zeigte sich dieses Talent zum Puppenspiel, das sich in einem völlig selbstverständlichen und unkomplizierten Zugang zum Medium äußert. Dieses Team ist eine glückliche Fügung. Und ausserdem ist es wohl so, dass weitaus wichtiger als die filigrane Animation die spielerische Energie ist, die die Darstellung trägt.

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