Kein Kinderspiel: „Macbeth für Anfänger" - im Theater der Puppen heftig bejubelt
erschienen am 15.11.04 von Dieter Stoll bei Abendzeitung
Was macht das Publikum, wenn statt des angekündigten „Macbeth" der Kasper auftritt, weil die königlichen Figuren nicht fertig geworden sind („Auch mit den Kostümen war es eng") und Puppenspieler Tristan Vogt bei gebührender Trauer auf den Stimmbändern „im letzten Moment" entschieden hat, dass doch lieber die bewährte Geschichte von der „gestohlenen Geburtstagstorte" aufgeführt werden soll? Es lacht sich krumm! Das wurmt den Holzköpf. Während die Großmutter dem König weiterhin das begehrte Karriere-Rezept für Kaiser-schmarrn verweigert und das Krokodil auf vier Freiersfüßen der Prinzessin hinterhertappt, zettelt der Zipfelmützen-Held einen Aufstand für die Kunst an - er besteht auf Shakespeare, und wenn es ihm sein Trul-lala kostet. Die Folgen sind im Giftschrank des Theaters der Puppen, dem Abendprogramm für Erwachsene, zu betrachten und wirklich fürchterlich. Fürchterlich komisch.
Die Idee vom Tunnelsystem zwischen der schrägen Welt der maulenden Puppen und dem Leichenkeller des Globe Theatre baut auf einen Einfall von Objekt-Artist Gyula M61-nar. Er hatte eine Querverbindung zur italienischen Com-media gelegt und war vom Gedanken an eine deutsche Kasper-Variante so angetan, dass er sich von Tristans Kompagnons als Regisseur verpflichten ließ. Was da an den zehn Fingern von Tristan Vogt mit den Puppen von Joachim Torbahn passiert, ist also sozusagen von langer Hand geplant.
Wenn der Solo-Akteur mit seinem griffigen Personal vielstimmig deutsche Sprachlandschaften wiedervereinigt und in der Besetzungspolitik großzügig fränkische, sächselnde und vertriebenenverbands-taugliche Dialekte mischt, erbeben die verbliebenen Goethe-Institute der Republik in ihren Grundfesten.
Und, obwohl das Paralleluniversum von Dialekt und Dialektik beim Aufstand der Kopfgeburten unser aller Phantasie aufs Äußerste herausfordert, alles ist so schön werktreu. Kein Stadttheater dieser Welt kann die Hexen-Weissagung besser beglaubigen, dass Macbeth' einziger Widersacher „von keiner Frau geboren" ist - ätsch, sagt Macduff, „ich bin geschnitzt".
Tristan Vogt, am Premierenabend 40 geworden und der abgeklärten Altersphase ferner denn je, baut Macbeth-Kaspers Machtrausch zur Splatter-Studie aus, lässt über den Köpfen des Marionetten-Prototyps mit dem praktischen Wechselkopf wie auch hinter den Kulissen das Schwert kreisen und tritt folgerichtig zur Schlussverbeugung mit einem Arm weniger und reichlich Blessuren vor die Bühne.
Mit dem, was da im Untergrund an Anarchie passiertsein mag, hätte dieser „Macbeth für Anfänger" sogar noch aggressiver an die Grenzen der Gemeinheit vorstoßen können. So ist es ein Spaß für Fortgeschrittene. Dem Jubel der Zuschauer kann man zustimmen.