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Eine apokalyptische Nacht und jede Menge Geheimnisse

erschienen am 24.04.2017 von Roswitha Frey bei Badische Zeitung

Magisch in Bann gezogen wurden die Zuschauer am Freitag im Weiler Kesselhaus von dem Stück "Durch die Nacht mit ...", das die Figurentheaterspielerin Iris Keller aus Binzen atmosphärisch dicht und mit dramatischen Effekten inszeniert hat. Das Kammerspiel beschreibt einen Nachttalk in einem Studio, wo Radiomoderator Steve von Mitternacht bis vier Uhr morgens live auf Sendung ist.

Eindringlich schlüpfte die junge Darstellerin Hanna Malhas in die Rolle des Nachttalkers, ein androgyner Typ mit langem, zum Zopf gebundenem Haar, unwiderstehlicher, verführerischer Stimme und suggestiver Lässigkeit in der Gestik. "Hallo, Ihr da draußen, wer von Euch will die Nacht mit mir teilen?", fragt Steve am Studiotisch zwischen Geräten, Mikrofon und Telefon. "Erzählt mir Eure Geschichten, bringt mir das Licht der Kneipen, das Neon der Flure, die Laternen auf der Straße, die Lichter der Nacht", fordert der "Poet der Nacht" die Leute bei dieser Late-Night-Show auf. Sie sollen ihm erzählen, wie sie die letzte Nacht ihres Lebens verbringen würden: Feiern bis zum Abwinken? Endlich das tun, was sie sich nie getraut haben? In der Kneipe ums Eck am Tresen eine Frau anmachen: "Hallo, hübsche Frau!"

Steve, allein und eingekapselt in der Enge des Studios, wartet auf Anrufer. Doch nur Oma Meyer, die nicht schlafen kann, meldet sich und will "jede Menge Chips und die Chippendales". Ansonsten ruft keiner an. Das rote Telefon schweigt. Es klingelt nicht. Steve wartet und wartet, spricht verlockend in den Äther, doch niemand meldet sich. Steve vertreibt die Zeit mit Musik, legt laszive Stücke auf, lässt den Countertenor Philippe Jaroussky als "teuflischen Engel" singen, setzt die Kopfhörer auf, singt lautlos die Songs mit, greift zur Zigarette. Doch nichts. Die Uhr tickt, die Zeit verrinnt, Steve wird unruhig, irritiert, verzweifelt. "Was ist da los, warum ist keiner in der Leitung? Was ist passiert?" Es bleibt in der Schwebe, ob sich eine Katastrophe ereignet hat und Steve als Einziger übrig geblieben ist.

Wie die Situation im nächtlichen Studio immer beklemmender, unwirklicher und gespenstischer wird und die eigenen Dämonen und die Geister der Erinnerung in Steve aufsteigen, das beschwört Regisseurin Iris Keller ungemein dicht und mit wirkungsvollen visuellen und akustischen Mitteln. Eine weibliche Stimme ertönt, die Stimme von Eve, die als Erzählerin die Situation beschreibt und das, was man nicht sieht, in Worte fasst. Seltsame Geräusche, der raffinierte Wechsel von Licht und Schatten, Lichtflackern, Dunkelheit und Sirenen erzeugen eine geisterhafte und surreale Atmosphäre. Gegenstände erwachen zum Leben, aus den Geräten quellen Bänder wie lebendige Wesen, eine Kassette fliegt durch die Luft, ein weißes Hemd am Bügel beginnt sich, wie von Zauberhand, zu bewegen. Spielerin Hanna Malhas schlüpft in dieses weiße Hemd, durchläuft eine Metamorphose, verwandelt sich in eine andere Figur. Intensiv spielt sie das Getriebensein des Nacht-Menschen Steve, der von inneren Stimmen, verdrängten Dingen, Ängsten und quälenden Erinnerungen aus der Vergangenheit heimgesucht wird.

Er erinnert sich an seine Mutter, die Flecken aus der weißen Wäsche waschen musste, an den wütenden Vater, an seine Zeit als Türsteher, an Alkohol, Disco, Schweiß, Prügel und Blut, an Eve, die härteste "Braut in Springerstiefeln", bei der man sich nie sicher sein konnte, "ob das jetzt n’ Kerl oder doch ne Frau ist". Eve meldet sich als Stimme im Kopf. Je mehr die apokalyptische Nacht fortschreitet, desto mehr deutet sich an, dass Steve und Eve ein und dieselbe Person sind und dunkle Geheimnisse verborgen haben.

Das Eingeschlossensein, die suggestive Stimmung und die Stimmen des Nächtlichen einzufangen, ist Regisseurin Iris Keller, ihrer Spielerin Hanna Malhas und Bühnenbildnerin Coline Petit, die sich vom Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart kennen, in diesem Objekt-Theater fantastisch gelungen.

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