erschienen am 01.01.2005 von bei Stuttgarter Nachrichten
Ob sie Schneewittchen durch postmoderne Assoziationsmühlen dreht (in "Stechapfel") oder als arglistige "Klodette" Männer um die Ecke kocht - die boshaften kleinen Figurenstücke von Annette Scheiblers Theater pepperMIND sind einfach hinreißend.
Annette Scheibler, Absolventin des Studiengangs Figurentheater an der Stuttgarter Musikhochschule, gründete pepperMIND 1992 als freie Bühne und erhielt seither eine Reihe von internationalen Auszeichnungen.
Für "Blaubart" hat sich Scheibler mit dem ungarisch-italienischen Objekttheaterkünstler Gyula Molnar zusammengetan, der als einer der Erfinder des Objekttheaters gilt und in Stuttgart durch Gastspiele bei den Internationalen Festwochen des Fits bekannt ist. Als Molnar zusagte, die Regie in einem gemeinsamen Projekt zu übernehmen, schlug das co-produzierende Fits einen Abend zum Thema Erotik vor. Heraus kam ein bizarres Gespinst aus Phantasien um die Gestalt des Märchen-Rippers "Blaubart".
Mit der Harmlosigkeit einer Klosterschülerin betritt eine junge Frau im schrulligen Kostüm die Bühne. Statt, wie ihr Mann es wünscht, Klavier zu üben, erzählt sie die Geschichte des Ritters Blaubart, der seinen Frauen verbot, eine bestimmte Kammer in seinem Schloß zu öffnen, und sie, weil sie der Versuchung nicht widerstanden, grausam ermordete. So einfach wie im Märchenbuch geht es auf der Bühne freilich nicht zu, dafür ist Annette Scheiblers Humor viel zu schwarz. Sie genießt das virtuose Spiel mit Anfängen und Enden, mit verwirrenden Partikeln von Komödien, Grusel- und Kriminalgeschichten. Während sie sich immer mehr mit Blaubarts letztem Opfer identifiziert und Mutmaßungen über ihre "Vorgängerinnen" anstellt, wandert, mit Hilfe blauer Schnüre ferngelenkt, ein Marmorkopf über das Piano, baumeln Barbie-Leichen von der Decke. Bald verschmelzen Blaubart, der Ehemann und der längst verstorbene Klavierlehrer zu einem mystischen Ladykiller, wird das Märchen zur abgedrehten Gespenstergeschichte, die Darstellerin zum dramatischen Irrlicht. Neben ihrer unnachahmlichen Mimik beeindruckt Scheibler wieder einmal durch ihre Präsenz, ihre pantomimischen Fähigkeiten und das verblüffend unmittelbare Verhältnis zu Gegenständen und Materialien. Nebenbei stellt sie die entscheidende Frage: Was ist das Schreckliche, das Blaubarts erste Frau in der Kammer fand, als es doch keine toten Vorgängerinnen gab?