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Genius und Geisterhand

Genius und GeisterhandStuttgart-Premiere der Fitz-Koproduktion „Die Empfindsamkeit der Giganten“ – Figurentheater mit dynamischer Faszination

erschienen am 18.02.2017 von Petra Bail bei Esslinger Zeitung

„Erstaunlich, erstaunlich“: Ein Stuhl schwebt wie von Geisterhand gezogen über die Bühne. Hübscher Trick. Man freut sich auf noch mehr Zauberei, wird aber vom Erzähler gleich desillusio­niert: „Es sind nur Geisteskräfte.“Macht nichts. Es kommt noch besser. Christoph Bochdanksy erklärt das Vorhaben des Abends. „Wir werden heute Giganten zu uns rufen. Ihnen das Genie entreißen und unter uns demokratisch aufteilen.“ Au ja! Ein bisschen genial wollten wir immer schon sein, freut man sich und hört die Beschwichtigung: „Gelingt es nicht, müssen wir ohne Genie nach Hause gehen.“ Man kann sich’s denken, wie’s ausging. Die Genies sind immer noch unter sich. Das Publikum im Fitz aber durfte 80 Minuten lang teilhaben am Stuttgart-Auftakt dieses magisch-aberwitzigen Groteskreigens von vier Größen der europäischen Figurentheater-Szene.

Freudscher Übersetzungsfehler

„Die Empfindsamkeit der Giganten“ ist eine poetische Koproduktion des renommierten Wiener Puppenspielers Christoph Bochdanksky und des preisgekrönten Figurentheaters Wilde & Vogel mit dem Fitz. „Entwicklungshilfe“ leistete kein Geringerer als der großartige Regisseur Gyula Molnár, ein Spezialist für poetischen Seelenstrip der Figuren. Christoph Bochdansky gibt als Erzähler die Richtung vor, Michael Vogel ist das virile Medium, das den unterhaltsamen Blick in das Genie von Johann Sebastian Bach, Sigmund Freud und Leonardo da Vinci gestattet. Möglich ma­chen dies museale Leihgaben: das Kinderklavier des größten Musikers aller Zeiten, die Zigarre vom Begründer der Psychoanalyse und eine blonde Bartlocke des Universalgenies der Renaissance. Das Kinderklavier bleibt in den Händen der Musikerin Charlotte Wilde, die Violine, Synthesizer und allerlei obskuren Klangerzeugern erstaunliche Begleitgeräusche entlockt und sogar Bach’sche Originalkompositionen zitiert. Mit brennender Zigarre, die den Zuschauerraum verpestet, und strohiger locke machen sich die Figurenspieler ihren eigenen Reim auf Sigmund Freuds 1910 verfasste Leonardo-Studie, deren Aussage, der Forscher und Künstler sei eine sexuell gehemmte Persönlichkeit, auf einem freudschen Übersetzungsfehler aus da Vincis Kindheitserinnerungen beruht. Denn es war nicht der Geier, ein altägyptisches Muttersymbol, der da Vinci küsste, sondern ein Milan.

Nicht klüger, aber beseelter

Auf der Bühne mausert sich der„Übersetzungsfehler“ zur schrägen Handpuppe, den sich Freuds legedärer „Kotherapeut“ Jofie zur Brust nimmt. Der wiederum sieht nicht wie ein niedlicher Chow-Chowaus, sondern gruselig, wie der Hund von Baskerville. Was unterscheidet Genie von Scharlatanerie, wenn die Illusion von der zersägten Jungfrau auf die Zigarre haltende Hand Sigmund Freuds heruntergebrochen wird, die erst effektvoll zerteilt, am Ende heil die Havanna hält? Show gehört dazu, wenn Michael Vogel als Widergeburt Leonardos mit Karacho auf die rote Couch fliegt, das Es, das Ich und das Über-Ich als putzige Seepferdchen am Faden durch die Verästelungen des Strukturmodells der Psyche samtrot-glitzernden Synapsenpuscheln schweben. Ja, kann man sich gut vorstellen, dass sich da leicht das Genie einnistet, wie der Vogel twiditwi, der an Leonardo da Vincis Flughilfen erinnert, während Silchers „Vöglein im hohen Baum“anklingt. Das Genie steckt auch in Mona Lisas Lächeln, in Pinocchio, in der Freiheitsstatue, im „Faust“,in Pippi LOangstrumpf – und noch in viel mehr, was die drei Akteure vor den Augen der Zuschauer mittels Klang, Figuren, Imagination, Tanz und Schauspielkunst aufblitzen lassen. Am Ende ist man nicht klüger als vorher, aber beseelter. Der Genius hat sich nicht übertragen, dafür eine lebendige, dynamische Faszination, wie sie dergestalt nur im Figurentheater möglich ist.

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