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„Ken“ konfrontiert mit israelischer Realität

erschienen am 25.01.2024 von Andrea Kachelrieß bei STZN Online

Nein, mit dem Mann an der Seite von Barbie hat das neue Tanzstück von Smadar Goshen nichts zu tun. Das Solo „Ken“ ist denkbar weit entfernt von der sterilen Ästhetik der Puppen-Kunstwelt. Vielmehr geht es der israelischen Choreografin, die seit 2019 in Stuttgart lebt, um das Chaos, das in einer Kriegszone herrscht, um den Kollaps von Systemen und den Verlust von Sicherheit. Inspiriert hat Smadar Goshen, wie sie kurz vor der Premiere von „Ken“ am Telefon sagt, die eigene Lebenserfahrung in Israel: „Als jemand, der von einem chaotischen, instabilen Ort kommt, habe ich durch den Umzug nach Deutschland das Gegenteil erlebt.“

Fast ein Jahr lang arbeitete die Choreografin an ihrem Solo, das diese Gegensätze inszeniert, dann kam der 7. Oktober und der Überfall der Hamas. „Eigentlich sollte mein Stück mit vergangenen Sorgen zu tun haben“, so Smadar Goshen. „Es ist fast schon eine Ironie, dass der Konflikt während meiner Auseinandersetzung mit diesem Thema ausbrach und es war nicht leicht für mich, die Arbeit daran nach dem 7. Oktober fortzusetzen. Mir fehlte die Distanz, das alles zu reflektieren.“

Protest gegen einen inakzeptablen Zustand

Auch weil ein Schwager Smadar Goshens gleich am ersten Tag zu den Opfern des Kriegs zählte, verschob die Choreografin ihre neue Produktion; geplant gewesen war die Premiere bereits im November. Einen neuen Titel bekam das Stück ebenfalls. No no no, sagt Smadar Goshen, sollte es ursprünglich heißen. Statt des dreifachen Nein, das gegen einen inakzeptablen Zustand protestieren wollte, hat sie sich nun für ein Ja, „ken“ auf hebräisch, entschieden. Mit „ken“ bezeichne man auch eine Person, die ehrlich sei, erklärt die Choreografin. „Ein Nein sorgt für ein Vakuum“, sagt Smadar Goshen. Ein Ja bringe dagegen alles, zu dem ja gesagt wird, in Konflikt.

Im Fitz unterm Tagblattturm ist bei der Generalprobe am Donnerstag ein Solo zu erleben, das in einem hellen, weißen Raum überraschend meditativ beginnt. Im roten Kleid reckt Smadar Goshen die Faust in die Höhe; es dauert lange, bis aus dem weit geöffneten Mund ein Ton erklingt. Anklage? Eher Wehklage, die in der Geburt eines wirren Bündels Draht mündet. Mal als Hut, mal als Maske krönt das Mini-Chaos den Tanz, der in schnellen Schritten und mit kantigen Gesten den Raum durchmisst oder auf einem Stuhl zur Ruhe kommt.

Raus aus der Ruhezone, rein in die Panik

Als die Tänzerin einen Topf und ein Messer ins Spiel bringt, verschiebt sie die Atmosphäre fast unmerklich – raus aus der Ruhezone, aus der Balance. Am Ende ist das Probenpublikum mit einer aus ihrer Routine gerissenen, vor Panik blinden Person konfrontiert, die selbst zur Gefahr wird. Die Wahrheit beinhaltet immer mehrere Realitäten, das lehren die aktuellen Konflikte wie der in Israel. Smadar Goshens Solo „Ken“ setzt auf diese Zwei-Deutigkeit und entlässt mit einem Moment der Verstörung.

Künstlerin
Smadar Goshen absolvierte ihre Ausbildung zur Tänzerin und Choreografin an der Jerusalem Academy for Music and Dance und tanzte anschließend im JAMD-Ensemble. 2019 kam sie nach Stuttgart, wo sie sich mit dem Duett „Peninsula Flora“ als Choreografin und Tänzerin vorstellte. Als Tanzpädagogin unterrichtet Smadar Goshen in „Gaga“-Classes nach der Methode von Ohad Naharin.

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