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Mit der Naivität in die Tiefe

Ensemble Materialtheater: „Der Friedhof oder das Lumpenpack von San Cristobal“

erschienen am 27.10.2016 von Armin Bauer bei Ludwigsburger Kreiszeitung

Im Fitz Zentrum für Figurentheater zeigt das Ensemble Materialtheater seine neue Produktion: „Der Friedhof oder das Lumpenpack von San Cristobal.“ Das Materialtheater kann man inzwischen als eines der traditionsreichsten Ensembles sehen, die es in der Stadt gibt, weit über die Grenzen Stuttgarts hinaus hat es schon seine Meriten verdient. So ist auch diese neue Arbeit eine Koproduktion mit dem Fitz, dem Puppentheater Magdeburg und dem Théâtre Octobre Brüssel. Es ist der erste Teil der vierteilig geplanten Reihe „Heimweh nach der Zukunft“, für das das Ensemble auch eine Projektförderung von Stadt und Land bekommt.

Die Inszenierung erzählt von Menschen, denen Unwetter, Regen und Sturm die Behausungen zerstören und die sich auf einen Friedhof flüchten, auf dem sie um die Grabmale Schutz und letztlich eine neue Heimat finden. Wäscheleinen spannen sich zwischen den Gräbern, auf denen die Neubewohner wundervolle Tomaten züchten. Aber das gefällt nicht allen, sogar die Leichen beschweren sich. Der Friedhofswärter ist eher faul und gutmütig, der Bürgermeister ist gefordert, den Frieden wiederherzustellen. Es fiele leicht, ganz vordergründig diese Geschichte als Beitrag zur aktuellen Fluchtdiskussion zu sehen. Das aber scheint zu kurz gedacht. Auch deshalb, weil grundsätzlich wenig Neues zu dieser Debatte beigesteuert wird und die anscheinend naive, einfache und klare vordergründige Geschichte für dieses verdienstreiche Ensemble zu billig wäre.

Nein, gerade das Spiel mit den Puppen, die auf drei umstellbaren Tischen hin- und hergeschoben werden, öffnet den Blick für hinter der allseits bekannten Problematik steckende Aspekte. Denn in Wahrheit schaut dieses Stück in vieler Hinsicht voller Ironie in die Tiefe. Fein und menschlich haben die vier Spieler unter der Regie von Alberto Garcia Sanchez versucht, unaufgeregte Zwischentöne zum Klingen zu bringen. Dabei wird die Naivität, die das Figuren- und Materialspiel auszeichnet, geschickt genutzt. Zwischen den Requisiten, die die skurrilen Grabmäler darstellen, läuft ein Spiel ab, das hinter seiner Harmlosigkeit die Widersprüche fein beleuchtet, mal im Streiflicht, dann wieder voll im Fokus.

Manchmal wirkt das Spiel etwas umständlich, die Spieler stehen gut sichtbar neben den Tischen und bewegen die Figuren, sprechen dazu und der Zuschauer benötigt dann selbst sehr viel Fantasie, um sich in die Erzählung einzuklinken, die auch etwas Märchenhaftes in sich trägt. Wer sich allerdings auf dieses Spiel einlassen möchte, wer sich beflügeln lassen möchte von der Distanz zur nüchternen Realität, der bekommt einen sehr unterhaltsamen und hintergründigen Abend mit einer Prise Humor.

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