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Trüffel der bitteren Erkenntnis

Pierre Cleitmans „Kreuzzug der Schweine" im Stuttgarter Fitz: eine tierische Satire über menschliche Verhaltensweisen

erschienen am 06.04.2013 von Petra Bail bei Esslinger Zeitung

Stuttgart - Sie sind schwul, kastriert, lieben Paprikachips und schauen Katze Moss im Fernsehen. Hans und Fleury leben wie die Maden im Speck in Pork City, einem Hightech-Para-dies für 75 000 Schweine. Doch das Schöner-Wohnen-Idyll hat ein Ende, als die beiden Borstenviecher vom Trüffel der Erkenntnis naschen: Da gehen ihnen die kleinen Schweinsäuglein auf. Pierre Cleitman hat für das Baseler Figurentheater Vagabu eine schweinische Satire über menschliche Verhaltensweisen geschrieben. Nun hatte „Kreuzzug der Schweine" in der Regie von Isabelle Starkier am Stuttgarter Fitz Premiere.

Der Autor und Schauspieler Cleitman steht als grotesker Wissenschaftler im schweinchenrosa Lederanzug auf der Bühne und erklärt sein scheinbar geniales Lebenswerk: Pork City. Ihm assistieren die Figurenspieler Marius Kob und Christian Schuppli, die mit ihren Händen dem Wellnessdorf für Wutzen Leben einhauchen. Das ähnelt einem Tripty-chon, auf dem kleine Häuschen und viele Fenster gemalt sind. Dort schauen die niedlichen großen und kleinen Grunzer aus Papier oder Planen heraus und genießen zwischen Morgenappell, Siesta und Schlammbad „ein Leben ohne Stress".

 

Schluss mit lustig

 

Da ist Uli, und der, der zu viel trinkt, und Porcus Maximus, ein 843-Kilo-Brecher, der 74 999 Freunde hat. Und da sind natürlich Hans und Fleury. Der eine hat parmarosafarbene Haut mit Sommersprossen, hört Wagner und liebt Schopenhauer, der andere wiegt 136 Kilogramm, hat einen Schönheitsfleck im Intimbereich und macht Aquarell-Actionpainting. Sie heiraten, weil das in Pork City keinen juckt. Ihre kleinbürgerliche Idylle wird nicht, wie im Paradies, von einer Schlange zerstört, sondern von einer Ratte, die Trüffel statt Apfel reicht. Der Effekt ist der gleiche. Nun ist Schluss mit lustig. Die beiden erkennen, dass hinter dem ganzen potemkinschen Schweine-Zauber eine Sauerei steckt: ein vollautomatisierter Schlachtbetrieb. Auf der Fleischpastetendose, Marke „Marcel Marceau", prangt das Konterfei eines Artgenossen. Hans und Fleury fliehen in den Mittleren Osten, weil man dort kein Schweinefleisch isst. Sie begeben sich auf den Weg, dem schon Kreuzfahrer im Mittelalter ins heilige Land folgten: „Epilierte, Reiche, Bekiffte und arme Schweine." Auf der Reise werden sie arg malträtiert, um am Ziel zu erfahren, dass dort zwar kein Schweinefleisch auf der Speisekarte steht, aber Schinken für den Export hergestellt wird. „Wir haben doch eine schöne Reise gemacht", lautet die lakonische Antwort auf die Frage „Haben wir alles verloren?". Schweinischer Pragmatismus könnte man sagen, oder: Niemand entgeht seinem Schicksal. Staub zu Staub und Schwein zu Schinken. Cleitmans fabelhafte Erzählung ist mit vielen Anspielungen auf menschliche Macken tierisch unterhaltsam und komisch, regt aber auch zum ernsthaften Nachdenken an über falsche Heilsbringer, die vermeintlich ultimative Lebensformen predigen. Und die Moral von der Geschichte lässt sich bei Nietzsche nachlesen: „Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie Kühe auf der Wiese." Und eben nicht wie Schweine in der City.

 

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