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Universales Verständnis von der Welt

Melanie Florschütz im E-Mail-Gespräch mit der freien Journalistin Barbara Fuchs über Theater für Kinder 2+

erschienen am 01.09.2010 von Barbara Fuchs bei

1. Was hat Euch ganz zuerst inspiriert, für die Kleinsten Theater zu machen?

2004 haben wir Hase Hase Mond Hase Nacht gemacht. Jahrelang zuvor haben wir die kleinen Geschwisterkinder beobachtet, die in unseren Theaterstücken für Kinder ab 5 Jahren auch immer mit drin waren. Da wurde mir klar, dass sich die Kleineren sehr wohl auch für Theater interessieren. Sie aber nach einer gewissen Zeit (1/2 Stunde max.) und bei bestimmten heftigen Konflikten aussteigen. Theater für kleine Kinder zu machen, das war erst mal ein bloßer Wunsch ohne konkrete Beispiele. In Deutschland gab es ja zu der Zeit noch keine Theaterstücke für kleinere Kinder. Ab 3 Jahren war die Schallgrenze und das waren meist verkleinerte linear erzählte Geschichten. Beeindruckend war, sich die Stücke von Kollegen aus Frankreich auf Silvia Brendenal`s Festival 1999 in Berlin und auf dem großen Festival Premières Rencontres von Agnès Défosses 2004 in der Umgebung von Paris anzuschauen. So viele verschiedene künstlerische Ansätze! und Theaterformen! Und mir wurde klar, dass jedes Stück davon erzählt, was der jeweilige Künstler glaubt, was ein kleines Kind schon oder noch nicht verstehen kann. Und dass wir Erwachsene zunächst vor allem unsere Vorstellungen von kleinen Kindern abhandeln. Es ist eine politische Diskussion, über den Wert und die Kompetenz eines kleinen Kindes nachzudenken. Wann fängt ein Mensch an, ein ernstzunehmender Mensch zu sein? Kann man mit jemandem reden, auch wenn der noch gar nicht reden kann? Unsere Gesellschaft ist sehr textlastig. Als gäbe es keine anderen Sprachen als die mit Worten.

2. Was gibt es Euch? Warum bleibt Ihr dran? Was geben Euch die Kleinsten, was Ihr nur bei diesen bekommt?

Die kleinen Kinder leben im Jetzt. Im absoluten Jetzt, da gibt es kein vorher oder später. An diese Fähigkeit versuchen wir Erwachsene mühselig wieder heranzukommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die kleinen Kinder mit einem universalen Verständnis von der Welt auf die Welt kommen. Sie wollen leben und überleben und zwar jetzt. Das kann ich ganz unromantisch bewundern. Es gibt da eine künstlerische Herausforderung: wir haben es mit einem Publikum zu tun, das sehr direkt und unmittelbar reagiert, einen unvoreingenommenen Blick hat und erfrischend undiszipliniert ist. Das gibt es sonst so bei keinem anderen Publikum. Die Anwesenheit des Publikums ist sehr zu spüren! Da muss man raus aus seinem künstlerischen Glaskasten und sich grundsätzliche Fragen stellen. Unsere Vorgänge auf der Bühne müssen von einer Notwendigkeit erzählen. L´art pour l`art interessiert die meisten Kinder nach 3 Minuten nicht mehr. Auch die Frage, wie ich das theatrale Moment dieses Ereignisses “Wir gucken Theater” klar machen kann, hat uns darin bestärkt, für alle naturalistischen Vorgänge eine Übersetzung zu finden. Bei der Suche nach Übersetzungen sind wir mittendrin in unserer Profession als Theatermacher. Wir suchen Zeichen und Chiffren für ein Stück von der Welt. Die Kinder sind in der Lage, diese Zeichen zu lesen und zu dechiffrieren, wenn sie klar gesetzt sind. Das ist eine einzigartige Kommunikation, die da im Theater passiert, das geht über sämtliche Wahrnehmungsorgane. Für uns ist es jedes Mal eine Herausforderung, eine Geschichte jenseits von Textinformationen zu erzählen. Wenn dabei Poesie heraus kommt, dann ist das eine Form der Verdichtung von all den Gedanken, die wir zu einem bestimmten Thema gesammelt haben, nachdem wir uns von den ausgedachten Ideen verabschiedet haben. Bei aller Assoziation braucht das Theater für die kleinen Kinder immer konkrete handfeste Handlungen. Das ist ein sehr handlungsorientiertes Theater. „Was ist eine interessante Handlung?“ - „Wann wird ein Vorgang auf der Bühne interessant?“ - darum dreht sich ein Großteil unserer Bemühungen. Das ist ein Theater, das sich nicht wirklich vorher ausdenken lässt, weil es im Tun entsteht und erst vollständig wird, wenn es sich durch die Erfahrung des Spielens und durch die unmittelbaren Rückmeldungen des Publikums weiterhin ausfeilt. In Punkto Dramaturgie braucht es immer wieder den Abgleich mit der Resonanz des Publikums. Manchmal amüsieren oder ängstigen sich die Kinder an Stellen, von deren Brisanz wir vorher gar nichts wussten. Manchmal ist es nur eine Frage der Änderung im Timing, dass unsere Absichten vom Publikum besser nachvollzogen werden können, und ein Ereignis draus wird. Manchmal muss man aber auch den Mut haben, alles weg zu schmeißen, damit die Ideen sich wieder neu ordnen können. An Rawums (:) haben wir über einen Zeitraum von 2,5 Jahren mit 3 verschiedenen Versionen gearbeitet. Herr & Frau Sommerflügel haben wir nach 10 Spielen noch mal komplett neu überarbeitet, weil wir als Spieler nicht zufrieden waren. Dabei ist aus unseren kleinen Tiergeschichten ein Zirkus geworden. Unsere Theaterstücke immer weiter auszufeilen, bis es für uns als Künstler und für die Zuschauer stimmt, das ist eine schöne Arbeit. Ich habe mir vorher noch nie so viele Gedanken über dieses Verhältnis gemacht: Künstler - Theaterstück – Zuschauer.

3. Ist es richtig beobachtet: Kontinuität bei ästhetischen Mitteln? Musik, einfache klare Bühne, Clowneskes, Zauberei... Verwendung von Licht, Papierobjekten...

Zur Stückentwicklung von Ssst!: nach unseren Erfahrungen wollten wir unsere Arbeitsmethode aufs Neue reflektieren und konsequent weiter treiben: wir kommunizieren mit unserem Publikum über eine assoziative Bildersprache. Das hat Konsequenzen für unsere Stückentwicklung. Aber wie findet sich eine Geschichte? Die Frage „Was wollen wir erzählen?“ wandelte sich methodisch in die Frage: „Was erzählt bereits was?“. Was erzählt eine Tasse auf einem viel zu kleinen Tisch..... Ein Haus, das wie ein Brief zusammengefaltet werden kann... Ein Bühnen-Vorhang, der sich um die Spieler dreht... Ein weißes Kaninchen, das aus einer Hosentasche „geboren“ wird.... Die Geschichte unseres Theaterstückes erzählt von der Hinwendung der beiden Komödianten zu den Dingen und Objekten und ihren Geschichten.

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